1847 -
Leipzig
: Engelmann
- Autor: Weber, Georg
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Gymnasium, Realschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
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Die Vorboten der neuern Zeit.
t 1318) entworfene Thurm im Jahr 1439 vollendet wurde; das herrliche Münster
zu Freiburg im Breisgau; die Kathedrale von Antwerpen; die Wiener Ste-
phanskirche, der Dom von Ulm, Rcgensburg u. a. — Da der Bau der meisten
gothischen Bauwerke oft über ein Jahrhundert erforderte, so bildeten sich für jedes
größere Unternehmen sogenannte Bauhütten, Vereine von Künstlern, Mauerern
und Steinmetzen, die zunftmäßkg gegliedert unter eigenen Gesetzen standen, unab-
hängige Gerichtsbarkeit unter dem Vorsitz des ersten Meisters besaßen, und große
Freiheiten und Privilegien genossen, so daß sie fast einen selbständigen Staat bil-
deten. Diese Corporationen hieß man Freimaurer-Vereine. Sie waren mit
einander in Verbindung; jede Gegend hatte eine Hauptbauhütte, der die kleinern
untergeordnet waren; den obersten Rang erwarb die Hütte von Straßburg.
§. 404. Was 2. die übrigen Künste, Sculptur, Musik, und
Malerei betrifft, so waren diese mit der Architektur verbunden und
standen gleichfalls im Dienste der Kirche. Die Bildhauerwerke, die
das Schwerfällige und Mühselige der Mauererarbcit verbergen sollten, sind
auf's innigste mit der Architektur verbunden und nur als Theile der großen
Idee, die der gothischen Bauart zum Grunde liegt, zu betrachten; die
Bildnisse von Christus und seinen Jüngern und Angehörigen, die Statuen
der Heiligen, die manchfaltigen Verzierungen, Reliefe und Symbole, die
Blumen, die aus jeder Spitze des Aeußern emporblühen und mit einem
Kreuze in Beziehung stehen — Alles deutet auf die christliche Religion
und auf das Ringen der Welt und der Menschensecle nach dem Göttlichen,
so daß man über dem Einzelnen und Mannichfaltigen nie die Idee der
Einheit und Vollkommenheit aus dem Auge verliert, wie ja auch die reiche
Mannichfaltigkeit und Abwechselung in der Natur stets aus eine höhere
Einheit hinweist. — Eben so haben auch die Schnitzwerke in Holz und
Elfenbein, womit Altäre und Beichtstühle geschmückt wurden, die kunst-
reichen Gußarbeiten, die Bilder über den Altären, auf den Fenstern, an
den Pfeilern und Decken eine innige Beziehung auf Religion und Kirche.
Die Aufgabe der mittelalterlichen Kunst schien lediglich die zu sein, die
ewigen Ideen des Glaubens unter einer sinnbildlichen (symbolischen) Form
auszudrücken und der innern Anschauung näher zu führen; darum tragen
auch die ältern Gemälde alle den Charakter der Ruhe an sich, weil Ruhe
das Wesen des Göttlichen ist, aber eine glänzende Farbenpracht fügte der
großen Einheit wieder die Mannichfaltigkeit hinzu. — Auch durch die
feierlichen Töne der alten Kirchenmusik (die aus einfachem, bald von
einem Einzigen, als Solo, bald von mehren als Wechselgesang (Anti-
phonienj bald von der ganzen Gemeinde im Chor, als Choralgesang,
angestimmten Kirch eng esa nq und dem ergreifenden Orgelspiel be-
stand) und in dem zur Andacht und zur innern Sammlung auffordernden
Glockengeläute sollte die Sehnsucht zum Höher» in der Seele des
Menschen geweckt werden.
Eine besondere Gattung der mittelalterlichen Malerei, die in der Regel nur
religiöse Gegenstände behandelte, bilden die Miniaturgemälde, womit die
meisten Gebet- und Andachtsbücher und viele Manuskripte verziert waren. Ge-
wöhnlich sind Titel, Rand und Anfangsbuchstaben ausgeschmückt; manche sind von
hoher Schönheit, alle von unübertrefflichem Farbenglanz. Außer Italien blühte
die Malerei, die, gleich der Schreibkunst, meistens von Mönchen geübt ward,