1847 -
Leipzig
: Engelmann
- Autor: Weber, Georg
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten, Gymnasium, Realschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
Erster Abschnitt
Altdeutsche Dichtung.
A. Die heidnische Volkspoesie und die Dichtungen der Geistlichen»
I. Der heidnische Volksgesang.
§. 1. Die ersten Spuren deutscher Dichtung. Unter den Nachrich-
ten/ die uns Tacitus (§. 189) von den Zuständen des deutschen Landes und Vol-
kes gibt, findet sich die Angabe, daß die streitbaren Germanen beim Beginne einer
Schlacht Kampf- und Kriegslieder gesungen hätten, die, an sich schon rauh
und unharmonisch, durch das Vorhalten der Schilde vor den Mund noch wilder
und unmelodischer geworden wären. Ihre Absicht dabei war, die Feinde zu schrecken,
und je voller daher die Töne klangen, desto sicherer erwartete man den Sieg.
Die Ansicht, daß wie bei den scandinavischcn Völkern die Skalden (§. 258), so auch bei den
Germanen «in besonderer Sän gerftand, B ar d e n genannt, im Besitze dieser Lieder (daooilus oder
barditus) gewesen und dem Heere als Harfner vorangezogen seien, scheint eine spätere Erfindung;
und die Annahme, daß ste nicht Sonderguteines Standes, sondern Eigenthum des ganzen Volks ge-
wesen, entspricht viel mehr sowohl der gcsangreichcn Natur der Germanen als den historischen Ueber-
lieferungen. Der Deutsche fühlte sich von jeher gedrungen, die verschiedenen Stimmungen und Em-
pfindungen, die die Wechselfälle des Lebens in uns erzeugen, durch Gesang auszudrücken; daher bei
fröhlichen Gelagen laute Lieder erschallten und die Begräbnisse der Helden und äkrieger
unter Gesang vollzogen wurden. — Von größerer Wichtigkeit mögen die historischen Lieder
gewesen sein, worin sie bald ihre Nationalgotter Tu i s k o und M ann, bald die Thaten ihrer Hel-
den und Ahnen priesen, wie denn Armins Thaten noch lange nach seinem Tode im Liede fortlebten.
(§. 188.)
§.2. Die Volks-Poesie während der Völkerwanderung. Durch
die Wanderzüge der Germanen im 4., 5. und 6. Jahrhundert erhielten die histori-
schen Gesänge, die früher ans einer Reihe gesonderter Stammsagen be-
standen, eine neue Gestalt und einen erweiterten Umfang, indem theils verschiedene
Sagen mit einander verbunden und verschmolzen, theils die großartigen Ereignisse
der Wirklichkeit in den Kreis der Volksgesänge gezogen wurden. So bildeten sich
umfassende Sagen-Kreise, die sich größtentheils an die Geschichte anlehnten,
worin aber manches zeitlich und räumlich Getrennte durch die schaffende Phantasie
verbunden und Gegenwärtiges und Vergangenes aneinander geknüpft ward.
Weber, Geschichte. 50