1855 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Kiesel, Karl
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
Das römische Reich unter den Imperatoren. 35
Boden wurzelte, selbst durch den Anblick der Entschlossenheit, mit welcher
die Christen in den Tod gingen, nicht zu dem Gedanken gebracht wer-
den, daß einen solchen Muth nur die Wahrheit zu gewähren vermöge.
Doch, wie alle diese Feindseligkeit den Zweck, um dessentwillen sie ge-
übt wurde, im Ganzen nicht erreichte, erreichte sie ihn auch nicht einmal
im Einzelnen in bestimmten Gegenden und für bestimmte Zeiten, da
die kirchliche Verfassung sich mitten unter den Verfolgungen immer mehr
regelte und befestigte und die kirchlichen Aemter sich ausbildeten. An
allen Orten, wo christliche Gemeinden bekannt find, finden sich auch
ununterbrochene Reihen von Vorstehern oder Bischöfen als Nachfolgern
der Apostel. Wie sie an der Spitze der Priesterschaft oder des Klerus
ihrer Sprengel oder Diöcesen stehen, so besitzen die Bischöfe von Rom,
später Päpste genannt, als Nachfolger des von Christus mit besonderer
diesfülliger Sendung ausgestatteten Apostels Petrus und als Wächter
der christlichen Zucht und Ordnung einen Vorrang oder Primat. Ihr
Beruf war die Erhaltung der Uebereinftimmung im kirchlichen Leben
und Glauben, und wenn sie in den ersten Jahrhunderten selten in Aus-
übung dieses Berufes erscheinen, ihre Thätigkeit vielmehr meist nur
von ihrer Discese in Anspruch genommen wurde, so rührt dies daher,
daß bei den noch einfachen Verhältnissen der Kirche nur selten das Be-
dürfniß zu jener anderen Thätigkeit hervortrat.
15. In der Zeit der letzten Imperatoren begann sich der Kampf
des Christenthums mit dem Heidenthume auch auf dem Gebiete der Li-
teratur zu entzünden und die in den Schulen der Wissenschaft bereiteten
Waffen in Anwendung zu bringen. Das Heidenthum sollte nicht fallen,
ohne alle seine Kräfte gegen das Christenthum aufgeboten zu haben,
und das Christenthum sollte auf dem Gebiete, wo eine Verständigung
mit den gebildeten Heiden möglich war, die Beschuldigungen, auf deren
Grund man es verfolgte, widerlegen. So entwickelte sich eine apolo-
getische Literatur, in welcher dahin gearbeitet wurde, zu zeigen, daß die
dem Christenthum gemachten Vorwürfe auf Mißverständniß und Erdich-
tung beruhten und daß die gegen dasselbe gerichteten römischen Gesetze
ungerecht seien. Die Reihe der apologetischen Schriftsteller wird zur
Zeit des Aurelius durch Justinus aus Flavia Neapolis, dem alten Si-
cheln, und Athenagoras aus Athen eröffnet, die beide vor ihrer Bekeh-
rung zum Christenthum die Schule heidnischer Philosophie durchlaufen
hatten und daher um so befähigter waren, den Heiden gegenüber die
Vergeblichkeit aller bloß philosophischen Bemühungen um Befriedigung
des Geistes nachzuweisen. Weiter wurde der Kreis der christlichen Li-
teratur durch die Störungen, welche das Christenthum innerhalb seines
Bereiches erfuhr. Da bei dem Bemühen der Einzelnen, sich den ganzen
Inhalt der kirchlichen Lehre anzueignen, die persönlichen Neigungen und