1855 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Kiesel, Karl
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
Das römische Reich unter den Imperatoren. 91
ein verschiedenes Verhältnis je nachdem er bloß vermöge des Primates
als oberster Lehrer, als Beschützer des Glaubens, als Wächter der Ord-
nung und als Vertreter der Einheit über ihnen stand, oder zugleich noch
über ein größeres oder geringeres Maß besonderer Geschäfte seine Auf-
sicht erstreckte. So hatte der Papst, nachdem sich im Laufe des vierten
Jahrhunderts das Metropolitansystem in Gallien und Spanien gebildet,
auch die Bischöfe von Mediolanum und Aquileja, im Jahre 430 auch
der von Ravenna zum Metropoliten erhoben worden waren, eine Metropo-
litangewalt über das mittlere und südliche Italien mit Sicilien. Da-
neben behielt er aber auch zu anderen Ländern ein näheres Verhältniß,
welches nach einem von der chalcedonischen Synode in Beziehung auf ihn
gebrauchten Ausdrucke als seine Patriarchalgewalt bezeichnet werden
kann. Die Begrenzung dieser Gewalt ist unmöglich, weil sich die ver-
möge des Primates ausgeübte Thätigkeit nicht bestimmt davon schied.
Sie umfaßte aber außer Italien jedenfalls eine Zeitlang Gallien, Spa-
nien und Jllyrien im weitesten Sinne. Merkwürdig ist dabei, daß in
Afrika, deffen Kirchen jünger als die römische waren, die Patriarchal-
gewalt nicht hervortritt, und daß sie in Ostillyrien, wo die Kirche zum
Theil früher als in Rom begründet war, auch nach der Trennung der
Reiche bestimmt geübt wurde. In Ostillyrien wurden die Bischöfe nur
von dem Papste oder dem durch ihn dazu beauftragten Bischöfe von
Thessalonice ordinirt, während anderswo die Suffraganen durch den
Metropoliten und diese von den Provincialsynoden ordinirt wurden.
Eine bestimmtere Ausbildung erhielt das Patriarchat im Osten. Ale-
xandrien und Antiochien, von denen das erstere seine Kirche mittelbar
auf den heiligen Marcus, das letztere die seinige unmittelbar auf den Apo-
stel Petrus zurückführte, hatten als Metropolen höherer Art den Vor-
rang in den beiden staatlichen Diöcesen Aegypten und Syrien, und stan-
den Rom, ohne dessen Primat zu verläugnen, in der Patriarchalgewalt
gleich. Durch den Einfluß jedoch, welchen die Reichseintheilnng auf
die kirchliche Eintheilung hatte, erhielten in den staatlichen Diöcesen
Pontus, Asien, Thracien eine gleiche Stellung Cäsarea, Ephesus und
Heraklea, deren Bischöfe jedoch nicht Patriarchen, sondern Exarchen ge-
nannt wurden. Allmälig aber trat der Bischof von Constantinopel
vermöge der Wichtigkeit, die diese Stadt als Hauptstadt des Reiches
hatte, nicht allein an die Stelle des Bischofs von Heraklea, sondern er-
langte auch eine Patriarchalgewalt über die beiden Diöcesen Asien und
Pontus, welche durch die chalcedonische Synode, obwohl Papst Leo den
hierüber nach Entfernung seiner Legaten gefaßten Beschluß verwarf,
anerkannt wurde. Hiernach wurde es dem Patriarchen von Constanti-
nopel in der Folge nicht schwer, auch die Patriarchen von Alexandrien
und Antiochien ihres Rechtes zu berauben und die Ordination aller