1855 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Kiesel, Karl
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
Das Karolingische Reich.
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Zwist in dem Herrscherhause hatte, wie er ein Abbild des im Reiche
herrschenden Zustandes ist, denselben auch fortwährend verschlimmert.
Die immer wiederkehrende Aufregung von Leidenschaften mußte in den
Ländern, wo das Christenthum theils noch so jung war, theils die der
Entfaltung seiner Wirksamkeit entgegenstehenden Hindernisse erst jüngst
überwunden hatte, sittliches Verderbniß erzeugen. Wie die aus dem
Heidenthum hervorgegangenen Merowinger sich durch die aus dem Hei-
denthum mitgebrachte Wildheit, durch Mißbrauch roher Kraft entnervt
hatten, verzehrte sich die im Chrisienthume erwachsene Kraft der Karo-
linger in einem Spiel wilder Triebe, die sich der Zügelung durch das
Christenthum entzogen. Das Christenthum hat einen fortwährenden
Kampf zu bestehen, nicht allein um sich bei den Völkern zur Anerken-
nung zu bringen, sondern auch um die Menschen zur Regelung ihres
Lebens nach seinem Gesetze zu vermögen. Lothar, dem der sterbende
Kaiser seine Krone und sein Schwert mit der Mahnung, seinen Bruder
Karl zu beschützen, zugesandt hatte, nahm kraft seiner kaiserlichen Würde
die Alleinherrschaft in Anspruch und nöthigte dadurch Ludwig und Karl,
sich mit einander zu verbinden. Seine Ansprüche waren so wenig durch
Fähigkeiten als durch Gesinnung unterstützt. Es gelang ihm, in dem
Reiche Karls viele Lehensträger auf seine Seite zu ziehen, während
Ludwig, wie er schon in dem letzten Kriege gegen den Vater begonnen,
sich der ostfränkischen Länder versicherte. Lothar wurde von der verein-
ten Macht seiner Brüder im Jahre 841 blutig, obgleich nicht entschei-
dend, bei Fontauetum im Gau vou Autissiodorum an der Jcauna ge-
schlagen. Er zog sich hierauf nach Aachen, setzte den Krieg gegen die
Brüder, die sich wieder vereinzelt hatten, in einer Menge kleiner Unter-
nehmungen fort, begünstigte den Widerstand der Aquitanier gegen Karl
und suchte gegen Ludwig die Sachsen aufzuwiegeln, wo er nicht allein
das Widerstreben des Volkes gegen das von seinem Großvater begrün-
dete Herrenthum begünstigte, sondern sogar die Wiedereinführung des
Heidenthums als Preis der Unterstützung bot. Die beiden Brüder ver-
einigten sich darauf wieder zu Straßburg im Jahre 842 und schwuren
Angesichts ihrer Heere, sich wechselseitig zu unterstützen und nicht einseitig
mit Lothar zu unterhandeln, worauf jedes der beiden Heere schwur,
seinem Könige, wenn er den Eid breche und der andere ihn halte, nicht
beizustehen. Bei dieser Gelegenheit zeigt sich, wie weit der Unterschied
der Nationalitäten unter den streitenden Parteien schon ausgebildet war.
Denn jeder der beiden Könige schwur in der Sprache, die das Heer
des andern verstand, Ludwig in romanischer und Karl in deutscher, wor-
auf das Heer des erstern in deutscher, das Heer des letztern in romani-
scher Sprache seinen Eid leistet. Die Brüder rückten nun den Rhein
hinunter und Lothar floh vor ihnen von Aachen aus nach Süden, um