1855 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Kiesel, Karl
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
Das deutsche Reich bis zum Ende des elften Jahrhunderts. 185
das oströmische Reich das Haupt einer Staatengruppe. Diese Staaten-
gruppe, die sich, während die Gestaltung des Abendlandes noch nicht
entschieden war, über einen Theil des Westens auszudehnen begonnen
hat, beschränkt sich seit der Schöpfung Karls des Großen entschieden auf
den Osten, kann aber dort wegen der inzwischen emporgewachsenen Macht
des Islam sich nach Süden und Osten nicht ausdehnen. Es bleiben als
Glieder des Ganzen, von welchem das oströmische Reich das Haupt sein
soll, nur die in sein Gebiet eingedrungenen und an seinen Grenzen woh-
nenden tartarischen und slavischen Völker übrig. Doch auch an ihnen
übt es nur unvollkommen den Beruf, der ihm beschieden scheint. Die
Slaven, die sich in seine Länder ergossen, haben ihm zwar eine neue
Bevölkerung gegeben, doch nicht zu seiner Verjüngung gedient. Die
geistige Macht aber, die es an seinen Grenzen übt, ist eine verhältniß-
mäßig geringe, weil mit seiner Entfernung von dem Mittelpunkte der
Kirche auch sein eigenes Leben versiegt und die Fähigkeit, befruchtende
Keime auszustreuen, sich mindert. Nur die Bulgaren sind bis jetzt unter
oströmischem Einflüsse dem Christenthume gewonnen worden. Die übri-
gen Tartarenstämme bleiben dem Christenthume fremd, und die westlichen
Slaven treten in den Kreis, in welchem das ostfränkische Reich einen
gleichen Einfluß unter päpstlicher Leitung übt, wie ihn einst das Mero-
wingische Frankenreich in Deutschland entfaltet hat. Auf die Gegenden,
in welchen das Christenthum jüngst begründet worden ist, und in welche es
vorzudringen sich anschickt, beschränkt sich aber der ostfränkische Einfluß
nicht. Das Fortdauern des Karolingischen Herrscherstammes und der
Besitz der eigentlich und ursprünglich fränkischen Länder gaben dem ost-
fränkischen Reiche den Rang des Hauptreiches in der Gruppe der aus
dem Karolingischen Reiche hervorgegangenen Staaten, und wenn auch
das westfränkische Reich sich ihm in keiner Weise unterordnete, wurde
dieses Schicksal Italien und den burgundischen Neichen nicht erspart.
Der westfränkische König Odo suchte zwar ein freundliches Verhältniß
zu Arnulf und erschien vor ihm im Jahre 888 zu Worms. Doch da
in der Folge das westfränkische Reich zu dem dortigen Zweige des Karo-
lingischen Stammes zurückkehrte, hörte wenigstens das Bedürfniß auf,
bei dem ostfränkischen Herrscher Anerkennung zu finden. Dagegen such-
ten Rudolf von Hochburgund und Boso's Wittwe Irmengarde für ihren
Sohn Ludwig, der erstere in Regensburg, die zweite in Forchheim an
der Rednitz, bei Arnulf Bestätigung der Herrschaft und des königlichen
Namens. Eine Zusammenkunft ähnlicher Art fand zwischen Arnulf und
Berengar zu Tridentum statt. Das Verhältniß zwischen beiden knüpfte
sich um so fester, als der Herzog Guido von Spoletum, von mütterlicher
Seite ein Enkel des italischen Königes Pipin, der auch außerhalb seines
Herzogthums in dem beneventischen und tuscischen Gebiet theils herrschte,