1855 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Kiesel, Karl
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
234 Frankreich bis zum Ende des elften Jahrhunderts.
bildung kam. Damit hing zusammen, daß die rechtlichen Bestimmungen
im Süden allgemeinere Geltung erhielten und dem Lande eine größere
Einheit gaben. Denn indem schon im neunten Jahrhundert in Frank-
reich das persönliche Recht, wonach Jeder durch seine Abstammung an
die Gesetze eines besondern Volksstammes gewiesen war, verschwand,
und für Jeden das in dem betreffenden Gebiete heimische Recht zur
Geltung kam, wurde im Süden, wo die verhältnißmäßig sehr wenig
zahlreichen deutschen Ansiedler sich leicht in die romanische Masse ver-
loren, das römische Recht allgemeine Richtschnur, während im Norden,
wo dem Inhalte nach deutsches Recht überwog, das aus der altdeut-
schen Zeit Ueberlieferte sich in den einzelnen Kreisen des Lehenswesens
nach Maßgabe örtlicher Einflüsse verschieden gestaltete. Aus ähnlichen
Gründen erhielten sich im Süden in den größeren Städten die Ge-
meindeverfassungen in einer Weise, daß hier der Stand der Freien
geschützter war und willkührlichen Eingriffen mit mehr Erfolg begegnen
konnte. Wurden alle diese Keime einer neuen Ordnung aber durch die
äußeren Verhältnisse noch vielfach in ihrer Entwicklung gehemmt, so
war auch die Thätigkeit der Kirche, obgleich sie naturgemäß der äußeren
Ordnung, ohne welche sie ihren Beruf nicht zu erfüllen vermag, die
mächtigste Bnndesgenossin war, vielfach gelähmt, weil rohe Gewalt oft
ihrem Worte die Macht raubte, und weil ihre Diener zum Theil dem ihnen
obliegenden Amte durch Verwicklung in die Wirren des Lehenswesens ent-
fremdet wurden. Vermöge des Berufes, die Völker zu erziehen, mußte
die Kirche für die Erhebung der königlichen Macht, die sie als eine
heilige erkennen lehrte, aus allen Kräften wirken. Auch konnten die
Bischöfe nur von einer Stärkung der königlichen Macht die Erhaltung
ihrer Selbstständigkeit hoffen. Wie das Lehenswesen in Frankreich die
Königsgewalt ganz verschlungen hatte, waren auch die Bischöfe hinsicht-
lich der kirchlichen Güter die Lehensträger der Lehensträger geworden,
und wenn sie auch auf den von den Königen berufenen Versammlungen
ebenso gut, wie auf denen ihrer unmittelbaren Lehensherren erschienen,
gingen diese in ihren Bemühungen, die Bischöfe von sich abhängig zu
machen, so weit, daß sie sich oft die Investitur derselben aneigneten,
wozu ihnen Seitens der Kirche nie das Recht zugestanden wurde. In
solcher Stellung mußten sich die Bischöfe in endlosen Kampf mit dem
gewaltthätigen Lehensadel verwickeln, und dessen Auflehnung gegen Recht
und Sitte häufte und schärfte die kirchlichen Strafen. Eine Erweiterung
der Strafe des Bannes, die sich an dem rohen Sinne der Zeit oft
unwirksam zeigte, oft aber auch den Uebelthäter vor den Richterstuhl
des Bischofs führte, war dessen Ausdehnung auf ein ganzes Gebiet, das
Jnterdict genannt, worin das Verbot Gottesdienst zu halten und die
Sakramente öffentlich auszuspenden enthalten war. Unter solchen