1855 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Kiesel, Karl
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
276 Das oströmlsche Reich bis zum Ende des elften Jahrhunderts.
zaren südostwürts gedrängt und sich über die Gegenden zwischen Don
und Donau längs der pontischen Küste hin verbreitet hat. Dieses Volk
schien bestimmt, sobald die Bulgaren zur Ruhe gebracht und die Mad-
scharen durch Gründung eigenen Staatswesens entfernt sein würden,
ein neuer gleich furchtbarer Feind des Reiches zu werden. Zugleich
erlebte unter Constantins Negierung das Reich Angriffe der Russen.
Unter diesem Namen werden slavische Stämme verstanden, die zur Zeit,
als Bulgaren und Avaren ihre Wanderungen unternahmen, am ober::
Dnepr und zwischen Düna und Weichsel sich zusammenzuschließen an-
singen. Die Stadt Nowgorod wurde der Mittelpunkt dieses Reiches.
Zur Verknüpfung der vielen Stämme wirkte aber die Ankunft kriegerischer
Fremdlinge aus dem Norden mit. Wie die Normannen die West- und
Südküsten Europas beunruhigten, ging auch nach Osten für sie eine
Straße der Wanderungen über das baltische Meer und durch die slavi-
schen und tartarischen Stämme hindurch bis an die pontischen Gestade
und nach Constantinopel. In der Hauptstadt des Reiches, wo sie unter
dem Namen Waräger bekannt wurden, fanden sie gleich so vielen andern
Fremden Verwendung im Söldnerdienste. Solche Waräger waren es
auch, die schon um die Mitte des neunten Jahrhunderts Fürsten der
Russen geworden waren. Drei Brüder hatten damals an drei ver-
schiedenen Stellen die Russen beherrscht, bis der eine von ihnen, Nurik,
nach der beiden andern Tode auch deren Gebiete zu dem seinigen schlug.
Gleichsam eine Colonie dieses russischen Staates war ein zweiter, der
sich im Süden, von Kiew aus, bildete. Einzelne Führer sonderten sich
von dem nördlichen Reiche ab, bezwangen als glückliche Abenteurer die
südlicheren Stämme der Russen und verstärkten sich durch Unzufriedene
aus dem nördlichen Reiche. Schon dieser südrussische Staat hatte zur
See von den Mündungen des Dnepr aus im Jahre 865 einen Angriff
auf Constantinopel gemacht. Noch gefährlichere Feinde wurden aber die
Russen, seit nach Ruriks Tode im Jahre 879 Oleg, der Vormund von
dessen minderjährigem Sohne Igor, den Dnepr hinabzog, sich der Herr-
schaft in dem südlichen Staate bemächtigte, und ohne den nördlichen aufzu-
geben, seinen Sitz in Kiew aufschlng. Der Staat erwehrte sich der Cha-
zaren und Petschenegen, und zu Wasser und zu Lande wurden Züge gegen
Constantinopel unternommen. Im Lande faßte das Christenthum Wurzel
unter dem Schutze von Igors (912—945) Gemahlin Olga, die für ihren
minderjährigen Sohn Swätoslaw bis zum Jahre 955 die Regierung führte
und dann in Constantinopel durch den Patriarchen die Taufe empfing, auch
Glaubensboten, die Otto I. aus Deutschland gesandt, im Reiche wirken
ließ, ohne daß ihr Wunsch, ihren Sohn bekehrt zu sehen, in Erfüllung ging.
4. Während der langen Negierung, die Constantin, meist mit gelehr-
ten Studien beschäftigt, nur dem Namen nach führte, schwang sich der