1856 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Kiesel, Karl
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Schule, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
und der von den Vortheilen des Handels bestimmten Staatskunst. 755
eine ungehemmte Thätigkeit der Kirche als ein Hlnderniß bei Ausbildung
einer über alle Verhältnisse sich erstreckenden Fürstengewalt ansah. In-
dem aber die Fürstengewalt in Frankreich durch die Mittel, mit denen
sie sich befestigte, und den Gebrauch, der von ihnen gemacht wurde, die
Neigung zu einer Gegenwirkung weckte, schwächte sie zugleich diejenige
Macht, welcher die Bewahrung der sittlichen Ordnungen und daher auch
der Grundlagen des staatlichen Lebens anvertraut ist. So viel Neues
die Staatsweisheit ersann, vergaß sie doch, daß die staatliche Ordnung
Europas sich auf kirchlichem Grunde aufgebaut hatte und daß nur auf
diesem Grunde ihr Bestehen gesichert war. So bereitete sich nach der
Umwälzung, welche mit der Kirchentrennung den Besitzstand der Kirche
getroffen hatte, eine Umwälzung der staatlichen Verhältnisse vor, zu
welcher das Frankreich Ludwigs Xiv. und der von ihm aus über Eu-
ropa verbreitete Geist die nähere Ursache war, während die entferntere
in jener kirchlichen Umwälzung liegt, die den Anfang dazu machte, die
Kirche in ihrem lange an den Völkern geübten Erzieheramte zu be-
schränken und dem Geiste persönlichen Beliebens und Dafürhaltens eine
früher nicht gekannte Berechtigung zu gewähren.
2. Ludwig Xiv. hatte zwar wenig Bildung genossen, besaß aber
natürliche Anlage genug, um nach Mazarins Tode die Zügel der Ne-
gierung selbst zu ergreifen. Er war eifersüchtig darauf, selbst zu regie-
ren. Daher trat nicht wieder ein Mann unter ihm so sehr an die
Spitze der Geschäfte, daß die Fäden der gesummten Staatsverwaltung
in dessen Hand zusammengelaufen wären. Nur die einzelnen Arten der
Geschäfte wurden von Ministern geleitet, während der König von Allem
Einsicht nahm. Dadurch ward das ganze Geschäft der Staatsverwaltung
zu einem regelmäßig gegliederten Fachwerke, das immer geeignet sein
mußte, von dem Könige überschaut zu werden. Daher bildeten sich für
die Behandlung aller der einzelnen Geschäfte bestimmte Regeln aus, die
jene Uebersicht erleichterten und die Wirksamkeit der Anordnungen sicher-
ten und beschleunigten. Diese Einrichtung des Staatswesens brachte es
mit sich, daß die Person des Königs mit Förmlichkeiten umgeben wurde,
welche den Abstand zwischen dem Gebieter und den höchst gestellten Die-
nern noch zu groß erscheinen ließen, als daß der Gedanke an die Möglich-
keit einer Abweichung von dem Befehle hätte anfkommen können. Hatte
man einmal auf diesem Wege dem königlichen Befehle ungesäumten
Gehorsam zu schaffen begonnen, so war der glückliche Erfolg in jedem
vorhergehenden Falle wieder ein Mittel, auch in den nachfolgenden Ge-
horsam zu erzielen. Die strenge Ahndung in einzelnen Fällen des Wi-
derstandes fügte für die Folge den Beweggründen des Gehorsams auch
die Furcht hinzu. Der Versuch, eine selbstständige Stellung zu be-
haupten, führte den Sturz dessen herbei, der ihn machte. So ward