1856 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Kiesel, Karl
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Schule, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
790 Die Zeit des französischen Übergewichtes
Macht der Staaten hatten, gaben jeder erheblichen Veränderung im
Besitzstände eine früher nicht gekannte Wichtigkeit, da eine Gebietserwei-
terung nun nicht mehr bloß die Mittel zu einem kriegerischen Angriffe
vermehrte, sondern ohne Kriegszustand die Gelegenheit zu einer fortge-
setzten für ganze Völker fühlbaren Beeinträchtigung gab. Es entwickelte
sich aus einer merkantilen Staatskunst auch eine allgemeine Wachsamkeit
über das Gleichgewicht der Staaten, da viele Staaten von Verände-
rungen, die ihnen früher hätten gleichgültig sein können, wegen der Ver-
hältnisse des Handels sehr nahe berührt wurden. So wurden denn auch
die beiden Seemächte, deren Stellung ein Hauptergebniß von der Aus-
bildung des oceanischen Welthandels war, die ersten Verfechter des
Gleichgewichts in Europa. Durch die Bestrebungen, deren hauptsäch-
lichste Vertreter jene Staaten waren, wurde die Staatskunst in eine
Richtung getrieben, durch die sie sich von der Fürsorge für wahre mensch-
liche Wohlfahrt immer weiter entfernte, und zu dem stillen Glücke, das
die Jesuiten in ihren Missionen in Südamerika den Völkern unter so
einfachen Verhältnissen und in so völliger Abgeschiedenheit schaffen konn-
ten, bildete das Treiben Europas, in welchem die Unterthanen von den
Lenkern der Staaten nur hinsichtlich ihrer Zahl und ihrer Erwerbs-
fähigkeit in's Auge gefaßt wurden, den schroffsten Gegensatz.
18. Den Kampf um die spanische Monarchie eröffneten die Par-
teien nicht im Felde, sondern an dem Hofe zu Madrid, indem jede von
ihnen die ihr erwünschte Lösung durch ein Testament Karls Ii. zu be-
wirken suchte. In das Spiel, in welchem von den Vertretern der nächst
betheiligten Mächte jeder den andern zu überwinden suchte, mischten sich
auch die Vertreter des Gleichgewichtes mit vermittelnden Vorschlägen,
die auf eine Theilung der außer Spanien noch so viele andere Länder
umfassenden Monarchie hinausliefen. Der erste dieser Vorschläge faßte den
Sohn des Kurfürsten als Haupterben in's Auge, bewirkte aber, da Karl Ii.
einer Theilung des Reiches entgegen war, ein Testament desselben, das
jenen zum alleinigen Erben einsetzte. Die Ausführung desselben wurde
dadurch verhindert, daß der Erbe vor dem Erblasser starb. Die er-
neuerten Bemühungen lieferten einen Theilungsplan, nach welchem das
Hauptland dem östreichischen Bewerber zufiel, bei welchem sich aber
Ludwig wegen der tiefen Erschöpfung seines Landes dennoch beruhigte.
Indessen trat Karls Ii. Widerwille gegen eine Theilung wieder in den
Weg, und da der Kaiser nicht, wie Karl wollte, seinen Sohn nach Spa-
nien schickte, gewann der französische Gesandte durch fein angesponnene
Ränke dermaßen die Oberhand, daß sich im Jahre 1700 nach des Kö-
nigs Tode der französische Bewerber als alleiniger Erbe bezeichnet fand»
Ludwig nahm, so gewiß er auch für diesen Fall einem schweren Kampfe
entgegenzusehen hatte, das Vermächtniß für seinen Enkel an und ließ