1856 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Kiesel, Karl
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Schule, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
866 Die Zeit verfälschen Aufklärung und der gewalttätigen Staatskunst.
das Bedürfuiß gefühlt, sich für kommende Fälle durch ein Bündniß zu
stärken. Da er in Oestreich immer noch seinen Feind und in Frankreich
dessen Verbündeten sah, von einem Bündniß mit England, wo die
Schwankungen des Parlaments auch die Richtung der Negierung änder-
ten, wenig Hülfe erwarten konnte, schloß er sich an die Kaiserin Katha-
rina an. Für ihn und sie war die Frage nach der Wiederbesetzung
des Thrones in dem zwischen ihren Staaten gelegenen Lande von Wich-
tigkeit. Man war schon daran gewöhnt, dem Lande eine Selbstständig-
keit gar nicht mehr einzuräumen, und im siebenjährigen Kriege hatten
Preußen und Rußland den Boden Polens nach Umständen wie eigenes
Gebiet behandelt. Das Land in dieser Weise weiter zu behandeln,
schien daun am möglichsten, wenn es ein Mitglied des einheimischen
Adels zum Könige erhielte, da ein solches bei denjenigen, die seines
Gleichen gewesen, am wenigsten Unterwürfigkeit finden und daher am
meisten bei den Nachbarmächten Hülfe zu suchen genöthigt sein würde.
Dieser Ansicht gemäß einigten sich Katharina und Friedrich im Jahre
1764, als sie ein Schutz- und Trutzbündniß auf acht Jahre schlossen,
über Maßregeln, welche die Wahl des von Katharina persönlich ge-
schätzten, feinen und gewandten Stanislaus Poniatowski sichern sollten.
Das Erscheinen russischer Truppen in der Nähe von Warschau und
preußischer in dem polnischen Preußen erreichte diesen Zweck. Sehr
bald bildete sich in Polen eine Partei, die dem Könige verwandte Fa-
milie Czartoriski an der Spitze, welche dem Staate durch Verbesserung
seiner Verfassung eine größere Unabhängigkeit zu verschaffen suchte. Da
aber die Unabhängigkeit nach Außen von Seiten vieler Einzelnen Opfer
zu Gunsten des Ganzen erheischt hätte, fehlte es nicht an heftigem
Widerstreben. Dieses Widerstreben fand Schutz bei den beiden Nach-
barmächten, die nun als Erhalter der polnischen Verfassung auftraten,
weil dieselbe ihnen gegenüber das Land wehrlos zu erhalten diente.
Eine fernere Gelegenheit zur Einmischung ergab sich durch die Verhält-
nisse der Dissidenten, zu welchen auch die nicht unirten oder nicht zur
Kirche zurückgekehrten Griechen gerechnet wurden. Diese hatten in
Bezug aus den Antheil an dein Staatsleben immer mehr Beschränkun-
gen erfahren, und da sie jetzt bei der Partei zweckmäßiger Verfassungs-
änderung Widerspruch gegen ihre Forderungen fanden, verstärkten sie
die Partei derjenigen, die sich an das Ausland anschlossen. Während
der König ohne alle Haltung war, spielte der russische Gesandte Repnin,
der eine große Anzahl russischer Truppen im Lande hatte, den Gebieter.
Zugleich kam die alte Sitte der Polen, für besondere Parteizwecke
förmliche Verbindungen oder Conföderationen zu schließen, in sehr aus-
gedehnter Weise in Anwendung. Eine zu Radom geschlossene Conföde-
ration diente dem russischen Gesandten zum Mittel, einen Reichstag zu