1856 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Kiesel, Karl
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Schule, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
Die Zeit der falschen Aufklärung und der gewalttätigen Staatskunst. 393
rung jenes Tauschplanes Ln Bewegung gesetzt ward, veranlaßte eine
lebhafte Erörterung. Von östreichischer Seite wurde behauptet, daß der-
selbe der Neichsverfassnng zuwiderlaufe, und als man diese Anklage
fallen ließ, konnte man sich nicht entschließen, in demselben etwas An-
deres, denn eine Wirkung preußischer Eifersucht zu sehen. Von preußi-
scher Seite ward ansgeführt, daß der Fürstenbnnd eben nur Erhaltung
des Bestehenden zum Zwecke habe und daher den Kaiser weder beleidi-
gen noch beunruhigen könne, wenn derselbe die Gesinnungen habe, die
man bei ihm voraussetzen müsse. Die Notwendigkeit einer Verhinde-
rung des von dem Kaiser beabsichtigten Tausches wurde aber nach den
Grundsätzen der Gleichgewichtslehre, die gegen einen mächtigen Staat
ein zu dessen Schwächung dienliches Mittel forderte, mit der Betrach-
tung vcrtheidigt, wie es nöthig sei, daß Oestreich nicht mit dem Besitze
seiner Niederlande seine schwache Seite verliere und nicht durch den Er-
werb Baierns Frankreich außer Stand setze, im deutschen Reiche einen
Bundesgenossen zu haben, mit dessen Hülfe es in das Herz Oestreichs
eindringen könne.
38. Das Verlangen, Länder zu erwerben, führte den unruhigen
Kaiser Joseph auch in einen Türkenkrieg. Katharina folgte dem längst
von Rußland eingeschlagenen Wege, seine Grenze gegen das türkische
Reich mehr und mehr vorzuschieben, ja der Kaiserin schwebte das Ziel
einer Eroberung des türkischen Reiches schon dergestalt vor Augen, daß
sie dem zweiten Sohne ihres Sohnes Paul bei seiner Geburt den Na-
men Constantin in der Hoffnung gab, durch ihn in der Stadt Constan-
tins dereinst eine neue Reihe griechischer Herrscher beginnen zu lassen.
Sie verfolgte gleich Peter den Zweck, das Reich durch Hebung von
Handel und Gewerbe zu stärken. Die Strömung abendländischer Bil-
dung ging insofern ihren ungehinderten Gang, als die französische Auf-
klärung auch in ihrer Umgebung einen Wohnsitz fand. Doch ließ sich
die Bevölkerung von derselben nicht ergreifen, da das Fremde sich zwar
den mit dem Hofe in Berührung Stehenden und in ihrer Haltung durch
den Hof Bestimmten mittheilen, nicht aber in die weitverbreitete, in
Verarbeitung fremder Gedanken nicht geschulte und das eigene Wesen
sehr fest haltende Bevölkerung eindringen konnte. Ihre weiblichen Schwä-
chen kamen unter dem Einflüsse jener Aufklärung insofern zur Geltung,
als sie ein stetes Spiel mit Günstlingen trieb, bis einer derselben,
Gregor Potemkin, sich in ihrer Gunst so festsetzte, daß er, während er
scheinbar Anderen seine Stelle räumte, doch über alle Kräfte und Mittel
des Staates verfügte. Die Pläne gegen die Türken waren es, die ihn
so hoch hoben, und er selbst war es, der jene Pläne, weil er durch
deren Verwirklichung hohe Ziele für sich zu erreichen gedachte, im Gange
erhielt. Die für unabhängig erklärte Krim ging im Jahre 1784 durch