1869 -
Leipzig
: Teubner
- Autor: Dietsch, Rudolf
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Gymnasium, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Griechische Antike
- Inhalt: Zeit: Antike
- Geschlecht (WdK): Jungen
Die Religion der Griechen. 127
Fernhaltung alles Störenden und Befleckenden^), der Glaube dabei daß den
Göttern die Gabe selbst Genuß gewähre 2), die Absicht ihnen Jjt schuldige Unter-
würfigkeit zu bezeugeu und sie zu einer Gegengabe zu veranlassen3). Deshalb
blieb kein Opser ohne Gebet, wie man umgekehrt das letztre uicht gern ohne
eine Berechtigung auf Erhörung und ohne Mahnung der Götter an ihr Hüter-
esse erhol)4), Wärend man die Ubereinstimmung mit dem Willen der Götter,
die eigne Schuldlosigkeit, rituelle Genauigkeit und den Gebrauch der eignen
Kraft als Bedingungen der Erhörung voraussetzte^). Allerdings finden wir in
den Gebeten um sittliche Gaben und um Vergebung begangner Schuld wie in
den nach Homer häufiger werdenden Dankgebeten 6), die meist in Preisgesänge
übergiengen, eine tiefere Anschauung und Innigkeit und es fehlt auch nicht an
einzelnen Stimmen, welche die innere Gesinnung über dieknltverrichtnng setzen7),
aber ein wesentlicher Zug bleibt doch die Äußerlichkeit des Kultes.
9. Zu der Scheu vor den Göttern, auf welcher die Frömmigkeit (was-
ßeict) beruht, tritt für das sittliche Handeln bei den Griechen als zweites Motiv
die Nechtsatzung des Menschenlebens ^). Je weniger bei ihnen Liebe zu Gott
und den Menschen die Quelle der Tugend sein konnte^), um so mehr verdient
Anerkennung das feine und rege Gefühl, das sie bei Beobachtung der Schranken,
welche sie deu Menschen im Ganzen wie dem einzelnen gestellt glaubten, und
in der Erfüllung der Pflichten, die sie daraus herleiteten, bewiesen haben. Wie
alle Tugend auf die Beobachtung des rechten Maaßes zurückgeführt wird10), so
ist dagegen alle Sünde Überschreitung desselben (vßpig). Wenn daher die Grie-
chen in Bezug auf Enthaltsamkeit und Selbstbeherschnng, ans Gerechtigkeit gegen
andere, Wahrhaftigkeit und Eidestreue11), Freundschaft, Dankbarkeit, Mitleid
mit armen, schwachen, alten, Pflichten gegen die Altern, und umgekehrt gegen
die Kinder und gegen Verwandte Grundsätze voll Zartheit und Innigkeit nicht
allein äußerten, sondern oft auch im Leben bethätigten, wenn sie in der Auf-
opfernngsfrendigkeit für das Vaterland von keinem Volk übertroffen worden
sind, wenn sie Laster und Lüste mit Verachtung belegten und über die befleckende
Wirkung gegeu die heiligsten Bande der Natur selbst unwissentlich begangner
Verbrechen den tiefsten sittlichen Abscheu bezeugen^), so dürfen wir doch uicht
vergeßen, daß dem Lichte viel Schatten beigemischt ist, daß z. B. wenn auch die
Monogamie als unverbrüchliches Gesetz gilt, doch weil sie eben nur eiu recht-
liches Institut ist, nicht allein die Unterwürfigkeit und Veruachläßiguug des
Weibes ^), fondern auch leichte Entbindung des Mannes von der Treue statt-
1) Nägelsb. ci. a. O. 201 ff. Das svcprjimsiv, Segenwüuscheu, zu welchem die An-
wesenden beim Beginn der Opferhandlung aufgefordert wurden, ward durch die Furcht,
weil der Mensch nicht wisse was bev Gottheit genehm fei, zu einem bloßen Still-
schweigen, wie bei den Römern favere Unguis. — 2) N. a> O. 205. — 3) N. ho in.
Th. V 3. Nachh. 193 f. 315 f. Zahlreich sind die Benennungen der Opfer je nach
ihrem Zweck. Für die Heroen gebrachten Opfer gilt nicht &vkv, sondern nur ha-
ykeiv. N. N. Th. 206. — 4) N. Nachh. Th. 212 u. 215 f. — 5) Näg. a. O. 216.
— 6) R. a. O. 214. Ein schönes Beispiel ist das Gebet, das Xenophon dem Kyros
in den Mund legt Kyrop. Viii 7, 3. — 7) N. a. O. 222. — 8) Thue. Ii 53, 4
von der größten sittlichen Verwilderung: &sojv ds cpoßog rj dv&Qcöncov vo^iog
ovsslg ünslqys. — 9) Nägelsb. Nachhom. Th. 317 f. — 10) fjbsxqov, ocoqjqoavvr]
als antreibender, atdcos als abhaltender Trieb. Nägelsb. Nachhom. Th. 229. — 11)
Herod. Vi 62. Iv 154. — 12) Beispiele die Sage von Alkmäon Thue. Ii 102 und
Soph. O. R- — J.3) Nägelsb. Nachh. Th. 167 ff. wo auch Ausuahmen aufgeführt»
sind. Vgl. dens. S. 234 — 37. Die ältre Zeit bat eiueu entschiednen Vorzug vor der
spätern, wo mit der Ausbildung der Staatsidee das Familienleben die Bedeutung
verlor. Wiese Uber die Stellung der Frauen im Altert. Bresl. 1854. E. Müller
N. Jahrb. Lxxiii 596 f.