1866 -
Leipzig
: Teubner
- Autor: Dietsch, Rudolf
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Gymnasium, Selbstunterricht
- Geschlecht (WdK): Jungen
Die Kirche des Abendlands seit Karls des Gr. Tod. 71
in seinem ganzen Reich ihm zu folgen H, allein es erfolgte im Gegenteil die
Trennung des Frankenreichs für immer. Mit der Thronbesteigung
eines unehlichen Sprosses war die Rechtsgewohnheit durchbrochen, um so
mehr als die Bedrängnis den Gedanken an den noch kleinen ächten Karo-
linger, Ludwigs Ii des Stammlers S., gar nicht aufkommen ließ. Wenn
auch ein ausgeprägtes trennendes Rationalbewustsein noch nirgends deutlich
sichtbar geworden, so ist doch durch die Teilungen ein stärkeres Selbständig-
keitsgefühl hervorgerufen worden, das sich jetzt zum erstenmal in Thaten aus-
spricht. Der Vorgang von Niederburgund, das jetzt an freiwillige
Wiedervereinigung mit dem Frankenreiche gar nicht mehr denkt, findet in
den geographisch stark abgesonderten Alpen- und Juraländern Burgunds
Nachahmung, indem sie sich in dem angeblich^) von den Karolingern abstam-
menden Grafen Rudolf einen eignen König setzten (Hochburgund oder
transjuranisches Königreich). In Italien, wo das Gefühl der
Verschiedenartigkeit von den übrigen Frankenvölkern am stärksten war und der
Wunsch nach Selbständigkeit durch die Kämpfe mit Griechen und Muhamme-
danern genährt ward, strecken einheimische Große die Hand nach der Krone
aus, und die Westfranken wählen sich einen König aus ihrer Mitte, den
Grafen Odo von Paris (§ 113, 1), wie ja die Deutschen durch Arnolfs
Wahl nicht anders gethan. Da eine Rückgängigmachung dieser Thatsachen
teilweise nie, teilweise nur erst nach längerer Zeit stattfindet, so schreitet die
Sonderentwicklung der Nationalitäten so fort, daß die äußere Spaltung zu
völliger innerer Trennung wird. Von den Wirkungen dieser Periode auf die
Gestaltung des Staats heben wir hervor: 1) Das Lehenswesen ist jetzt
völlig die Grundlage und Bedingung desselben geworden. 2) Die Erb-
folge im Königtum ist zwar nicht beseitigt, aber die Berechtigung wird
erst durch Wahl anerkannt, und zwar nicht des gesammten Volks, sondern
der Lehensgroßen3), 3) Die Durchführung der Idee des Kaisertums,
wie sie Karl der Große gefaßt hatte, hat sich praktisch unmöglich erwiesen.
Ein oberster weltlicher Herscher an der Spitze des Lebens bleibt eine Forderung
des Bewustseins, aber die allgemeine Anerkennung des gekrönten folgt nicht
nach. 4) Die Unterordnung der Kirche und ihrer Spitze, des Papsttums, unter
den Kaiser hat einen erschütternden Stoß erlitten.
Die Kirche des Abendlands seit Karts des Gr. Tod.
8 96.
A. Das Papsttum und das Kirchenrecht.
1. Welchen äußern Abbruch die Kirche in den Bürgerkriegen erlitten
'hatte, wie sie zur dienenden Magd der weltlichen Macht herabgewürdigt
worden war, ist aus der Erzählung der Begebenheiten ersichtlich geworden.
Wie sollte sie zu einer gesicherten würdigern Stellung wieder erhoben werden,
wie sollten die Grundsätze zur Geltung kommen, welche dein in der Kirche
herschendeu Glauben an die göttliche Auserwählung der Bischöfe entsprachen, * Ii
288 ff. Den Beinamen des Dickere habe ich, trotzdem er erst bei jüngern Geschicht-
schreibern vorkommt, beibehalten, weil er sich leichter merkt, als die Zahl. —
1) Wenck a. a. O. S. 30 — 33. Dümml. Ii 303 305. — 2) S. die Untersuchungen
von Wenck in der Beilage zur öfters angezognen Schrift S. 81 —101. Dümml.
Ii 312 f. 318 — 20. — 3) Der Titel ^ Fürsten' kommt für den deutschen Adel zuerst
unter Karl Iii dem Dicken vor. Dümml. Ii 293 s. auch 319.