1866 -
Leipzig
: Teubner
- Autor: Dietsch, Rudolf
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Gymnasium, Selbstunterricht
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Rußland.
dem weiten Verkehrsgebiete in einflußreicher Verbindung stehend (ihr Name
war ^Gäste') zu den Beratungen des Großfürsten zugezogen wurden. Übri-
gens hatte der letztere die unbedingte Verfügung über das Reich, besonders
über dessen Vererbung, und ganz natürlich war, daß ein Anspruch aus gleiche
Teile desselben den Söhnen rechtlich zukam: ein Verhältnis aus welchem
wir zeitweise bedeutende Störungen der Machtentwicklung hervorgehn sehen
werden.
6. Da Igor, Ruriks Sohn, als er nach Olegs Tod das Großfürsten-
tum erhielt (911 — 945), bereits 37 Jahre alt geworden war, so ist er wahr-
scheinlich nicht dessen Mündel gewesen, sondern es hat schon damals eine
Anwendung des später in Übung gekommenen Rechtsgrundsatzes statt gefunden,
nach welchem der älteste des Herschergeschlechts als Großfürst über das ganze
Reich mit allen seinen Unter- (Teil-) fürstentümern die Gebieterschaft gu
üben hatte. Von Igor wurden nach langen blutigen Kämpfen die Petsche-
negen (§ 98, 4 S. 91) unterworfen und erhielten zwischen Dnjepr und
Don Ansiedlungen. Aus dem von Rußen auf dem schwarzen und kaspischen
Meer getriebnen Seeräubereien ist auf den Umfang ihres Gebiets kein
sichrer Schluß §n machen. Auf dem Zuge, welchen Igor 941 gegen Konstan-
tinopel unternahm^), erlitt er durch die mit griechischem Feuer ausgerü-
steten Brander empfindliche Verluste, und wenn er im folgenden Jahr den
Angriff erneuerte und den mit Oleg geschloßnen Frieden bestätigt erhielt, so
verdankte er dies gewis nur der politischen Klugheit des byzantinischen Hofs,
welcher den furchtbaren wilden Feind aufs äußerste zu reizen sich hütete. Der
Ausstand, bei welchem er das Leben verloren haben soll, wird der Erhöhung
des den unterworfnen aufgelegten Tributs zugeschrieben. Für den unmün-
digen Sohn Suiatoslaw (Swätoslaw, 945 — 972) führte anfänglich
seine Mutier Olga die Negierung und es wird ihr weise fürsorgende Tätig-
keit für die Wolfahrt des Reichs durch Besiedlung unbebauter Gegenden und
Anlegung von Verkehrsstraßen beigelegt. Das größte Verdienst jedoch erwarb
sie sich dadurch, daß sie, nachdem sie die Negierung in die Hände ihres Sohns
abgegeben, mit zahlreichem Gefolg nach Konstantinopel pilgerte und dort die
Taufe (unter dem Namen Helene) annahm 2). So ernstlich aber sie sich
bemühte, den von ihr angenommenen und innig ergriffnen Glauben unter
ihrem Volk zu verbreiten^), sie fand damit bei der allergrößten Mehrzahl
keinen Anklang und selbst ihr Sohn weigerte sich aus Furcht seinen Kriegs-
genoßen lächerlich und verächtlich zu werden. Indes war doch durch sie ein
Samenkorn in die Erde gelegt, und schien es klein und gering, wir werden bald
sehen, wie es durch die Gnade des Herrn sich entwickelte und endlich Frucht
trieb. Suiatoslaw wird uns als ein durchaus rauher und ungeschlachter, aber
gleichwol große Heeresmassen in Zucht und Ordnung haltender und zur Tapfer-
keit fortreißender Krieger geschildert H. Von den Kriegszügen gegen die auf-
ständigen Stämme an der Wolga und angeblich bis in den Kaukasus hinein
rief ihn eine Botschaft des griechischen Kaisers Nikephoros ab, welcher ihm
1500 Pfund Goldes bot, wenn er für ihn die Bulgaren bezwingen wolle. 1
1) Nach den griechischen Quellen mit 10,000 Booten. Gibbon a. a. O.
S. 2093 f. — 2) Schon 866 beim ersten Zug solle,: die Rußen um christliche Lehrer
gebeten haben. Erzählt wird, wie sehr die Pracht der Kirchen und des Kultus in
der Hauptstadt die staunende Bewnndrung der Rußen erregt habe. Aber der Glaube
an Christum und seine Verehrung beschrankte sich zuverläßig ans reisende Kanflente
und christliche Gefangne. — 3) Siehe S. 123 Anm. 1. — 4) Gibbon a. a. O.
S. 2095 f.