1866 -
Schleswig
: Schulbuchh. Heiberg
- Autor: Dücker, Johann Friedrich
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Regionen (OPAC): Schleswig-Holstein
- Inhalt Raum/Thema: Vaterländische Geschichte
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trugen, worunter ganze Familien sich mit Stricken an einander festgebunden
hatten, um ihr Schicksal zu theilen und auch im Tode nicht getrennt zu
werden. Viele Menschen schwammen umher auf Tischen, Bänken und
Balken, an welchen sie sich in ihrer Todesangst festgeklammert hatten, vor
Kälte und Mattigkeit verschmachtend. Manche hingen todt in den Zweigen
der Bäume. Die Zahl der Menschen, welche umkamen, wird auf 15,000
geschätzt.
Allmählich sank das Meer zurück in seinen gewöhnlichen Wasserstand;
dadurch ward es noch sichtbarer, wie groß die Verwüstung war. Kost-
bare Deiche waren aus weite Strecken niedergerissen und weggewaschen,
an ihrer Stelle zum Theil sogar große Vertiefungen in die Erde gehöhlt;
eine reiche Ernte war fortgespült und vernichtet; Tausende von Hausthieren
waren ertrunken; ein großer Theil des Landes war unwiederbringlich von
den Wellen verschlungen. Der größte Theil der ehemaligen Insel Nord-
strand (die ganze Mitte derselben, zwischen Pellworm und dem jetzigen Nord-
strand) ist vom Meere bedeckt geblieben. Nur ein Viertel etwa ward den
Fluthen wieder abgewonnen. — Herzog Friedrich, der durch diese Fluth
fast den zehnten Theil des Gottorfer Gebiets einbüßte, ergriff noch dazu
nicht die passendsten Maßregeln; er zwang die noch übrigen verarmten Ein-
wohner zu neuen Eindeichungen, die aber sogleich wieder von den Fluthen
zerstört wurden. In den nächsten Jahren gelang es nur, den westlichen Theil
des ehemaligen Nordstrandes, die jetzige Insel Pellworm, wieder den Fluthen
abzugewinnen. Die Eindeichung eines östlichen Stücks, der jetzigen Insel
Nordstrand, erfolgte erst zwanzig Jahre später. Der Herzog verfuhr dabei
mit der größten Härte und Ungerechtigkeit gegen die Bewolmr und Eigen-
thümer der Landstücke. Da dieselben in ihrer damaligen Lage nicht vermö-
gend genug waren, die Eindeichungen zu übernehmen, so überließ er 1652
alles Land an eine holländische Gesellschaft, welcher er zugleich freie Aus-
übung des katholischen und des reformirten Gottesdienstes und freie
Einrichtung ihrer bürgerlichen Verfassung gestattete. Den bisherigen
Eigenthümern wurde wider alles Recht ihr Land ohne Entschädigung ge-
nommen; nur ihre Häuser sollten ihnen bezahlt werden, wenn die neuen
Eigenthümer sie behalten wollten, sonst sollten dieselben abgebrochen und
weggeschafft werden. Als der Befehl, den neuen Anbauern das Land zu
übergeben, den Einwohnern in der Kirche verkündigt wurde, brach die ganze
Gemeinde in Thränen aus. Was ihnen das fühllose Meer gelassen, das
raubte ihnen der habsüchtige Landesherr.
Sechs. Jahre später (1640) erhielt das Gebiet der beiden schleswig-
holsteinischen Landesherren einen Zuwachs. Ein Stück von Holstein hatte
feit der Theilung von 1294 unter den Nachkommen der Schauenburger
Grafen gestanden, die 1460 bei der Herzogswahl dem Oldenburger Christian
hatten weichen müssen — die Herrschaft Holstein-Pinneberg. Als
nun am 15. November 1640 Otto Tl, der Letzte seines Stammes, ohne
männliche Erben starb, nahm Christian Iv. sofort die Herrschaft Pinneberg
in Besitz und theilte dieselbe mit Friedrich Iii. Der König nahm das größte
Stück, und der Herzog erhielt das Amt Barmstedt. Die beiden Landesherren
konnten freilich keinen Erbvertrag vorweisen; aber sie behaupteten, das
herrenlose Stück Land gehöre zu d em Herzogthum Holstein, das einst ihr