1855 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Kiesel, Karl
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Schule, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
Gang und Gliederung der vorchristlichen Geschichte. 29
Ebenen des Indus so gnt, wie nördlich davon in den Ebenen des
Orus oder, wenn man wegen dereinstiger Ausdehnung des persischen
Reiches nach Norden die Grenze weiter stecken will, des Iarartes, eine
Welt, mit welcher alle die im Lause der vorchristlichen Zeit in die Ge-
schichte eingetretenen Völker in keiner Verbindung stehen, eine Welt,
welche außerhalb der Weltgeschichte liegt. Zwar waltet zwischen dem
Norden und dem Osten Asiens ein großer Unterschied ob, indem der
Norden keine höhere Gesittung auf seinem Boden hat entstehen sehen,
der Osten dagegen Völker aufweist, welche frühzeitig die Grundlagen ge-
selliger Ordnung bei sich ausgebildet und in kunstreich gegliederten Staats-
gebäuden bewahrt haben. Doch wenn der Norden nur zuweilen zum
Schrecken des Südens seine unstet schweifenden Horden ausgesandt hat,
ist der Osten, ungeachtet mancher bei seinen Bewohnern entwickelten
Fähigkeit und mancher Versuche, die Räthsel des Lebens zu erklären,
einerseits auf einer in vorgeschichtlicher Zeit erreichten Stufe fteheu ge-
blieben und anderseits über das Gebiet, in welchem er seine eigenthüm-
lichen, früher Erstarrung verfallenen Lebensformen geschaffen, nie hinaus-
gegangen, um mit andern Völkern in eine Wechselbeziehung zu treten.
So liegen Indien und China seitwärts des Weges, auf welchem die
Weltgeschichte von Volk zu Volk wandert, um Altes zur Bildung von
Neuem verwendend und Völker in der Berührung mit andern kräftigend
durch die vorchristliche Zeit hindurchzuschreiten.
4. Indien ist zur Zeit, als die Seefahrten der europäischen Völker
in die weite Ferne begannen, gewissermaßen erst entdeckt worden und
hat seitdem den gelehrten Bemühungen der Europäer die Geheimnisse
seiner uralten und bis zu hoher Vollendung ausgebildeten alten Sprache,
des Sanskrit, seiner pantheiftischen in vielfachen Schriften niedergelegten
und in seltsamen Gebräuchen sich wirksam erweisenden Religion, einer
festgegründeten, das Volk strenge abstufenden Kastenverfassung erschlossen.
Schon waren die ursprünglichen Zustände des Landes durch die moham-
medanische Eroberung gestört und das Sanskrit, das schon seit dem
siebenten Jahrhundert vor Christus abzusterben begonnen hatte, nur in
den Schriften fortdauernd, vor neueren von ihm abgeleiteten Sprachen
aus dem Leben gewichen, aber noch lebte in einer Menge von Ein-
richtungen der ursprüngliche Geist des Volkes und diente zur lebendigen
Erläuterung der aus seinen Büchern stammenden Kunde von seiner ur-
sprünglichen Eigenthümlichkeit. Ein Land der Wunder war Indien für
die Phantasie der ältesten Völker schon gewesen, der Handel hatte es
von ältester Zeit her der kostbaren Naturerzeugnisse wegen ausgesucht
und eine dunkle Kunde von seinem Reichthum über die Länder des
Westens verbreitet. Die Geschichten alter Eroberungszüge waren von
der ausschmückenden Sage bis in das fabelhafte Land ausgedehnt wor-