1855 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Kiesel, Karl
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Schule, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
Gang und Gliederung der vorchristlichen Geschichte. 31
Vedas, als Nachkommen einer früheren Bevölkerung gleich den schwarz-
farbigen, von einer anderen, einer hamitischen Bevölkerung entsprossenen,
noch tiefer an Recht und Ansehen stehenden Parias unterworfen wurden.
Dieses Volk hat in den ungeheuren Werken seiner Baukunst und Skulp-
tur geheimnißvoll redende Denkmäler seines religiösen Bewußtseins
hinterlassen. Seine Felsentempel über und unter der Erde, wie sie sich
auf den unweit Bombay gelegenen Inseln Elephanta und Salsette und
bei dem unweit Aurungabao gelegenen Ellora finden, seine vielfach an-
zutreffenden, in colossalen Massen aufgeführten Pagoden bezeugen seine
Hingebung an die nach seinem Glauben durch die ganze Natur verbrei-
tete göttliche Macht. Die Bildwerke, mit welchen dieselben geziert sind,
versuchen, ohne einem Gesetze der Schönheit zu dienen, die Verkörperung
von Ideen, die zu sehr dem Reiche des Gefühls und der Ahnung ange-
hören, um in der Kunst einen Ausdruck finden zu können, der nicht
durch Vieldeutigkeit der gebrauchten Sinnbilder unverständlich würde.
Wie individuelles Leben von der Religion nicht gestattet, von der
Kunst nicht dargestellt wurde, findet sich auch in der Literatur keine
die Thatsachen bestimmt in räumlicher und zeitlicher Begrenzung auf-
faffende Ueberlieferung. Das Volk schrieb keine Geschichte, weil es keine
hatte. Die vielen Reiche, in die es stets getheilt war, blieben in dem
endlosen Gewirre ihrer gegenseitigen Kämpfe eine unterschiedlose Masse,
aus welcher keine Kraft sich erhob, um Kräfte an sich zu ziehen und für
einen eigenthümlichen Zweck in Bewegung zu setzen. So liegt Indien
außerhalb der zusammenhängenden Weltgeschichte. Selbst die einzige
große Bewegung, die von ihm ausging, die Entstehung, Verbreitung
und Vertreibung des Vuddhaismus, hat in der Erinnerung nicht solche
Spuren hinterlassen, daß ihte Wege zu verfolgen oder gar die einzelnen
bewegenden Kräfte zu erkennen wären. Aus dem Schooße des Brah-
manismus entwickelte sich bis zum sechsten Jahrhundert vor Christi Ge-
burt eine Lehre, welche zum Behufe der Annäherung an Gott an die Stelle
bisherigen Versenkens des Einzellebens in die Natur ein durch Medi-
tation zu gewinnendes Wissen und sittliche Vorschriften des Lebens zu
setzen bemüht war. Die Verbreitung dieser Lehre gefährdete das ganze
indische Leben in seinen Grundlagen und bedrohte namentlich durch Ver-
kündigung eines gleichen und einzig von heiligem Lebenswandel abhängi-
gen Anrechtes Aller auf höhere Seligkeit die Kastenverfassung mit Auf-
lösung. Dadurch nöthigte sie die Vertreter der alten Ordnung zu einer
Gegenwehr, vor welcher sie aus Vorderindien wich, um sich über Cey-
lon, Hinterindien, China, Tibet und Japan zu verbreiten. Ihre Schrif-
ten sind in dem aus dem Sanskrit abgeleiteten Pali abgefaßt und der
Begründer der neuen Ordnung wird Gautama, mit dem Beinamen
Buddha oder der Weise, ein Königssohn aus Magadha, dem jetzigen