1855 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Kiesel, Karl
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Schule, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
Die Phönicier.
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Vi.
Die Phönicier.
1. Das Land, das an der Küste des mittelländischen Meeres von
der ägyptischen Grenzstadt Rhinokorura bis zu dem Meerbusen von
Jssus nordwärts reicht, im Nordosten vom Euphrat bei Thapsakus be-
rührt wird und zu seiner östlichen Nachbarschaft die aus dem Norden
Arabiens nordwärts bis nach Mesopotamien hinein sich erstreckenden
Wüsten und Steppen hat, besitzt zwar vermöge der Stammverwandt-
schaft seiner Bewohner einen Gesammtnamen, den Namen Syrien, zeigt
aber bei der ersten Kunde, die die Geschichte von ihm hat, eine in einer
Menge von Städten wohnende Bevölkerung, die, wie sie sich hierdurch
von den Nomaden im Osten unterscheidet, ihnen dadurch gleicht, daß keine
größere Vereinigung der kleinen staatlichen Körper stattfindet. Diesem
Lande gehören auch die Phönicier an, das Ziel assyrisch-babylonischer,
wie ägyptischer Angriffe wegen der Macht, die der Besitz ihrer Hafen-
städte dem Ueberwinder verleihen zu müssen schien. Das Volk ist nach
der Sprache, die es redete, gleich allen Bewohnern des südwestlichen
Asiens ein Zweig der semitischen Familie. In der heiligen Schrift wird
cs jedoch zu dem kanaanitischen Stamme gezählt, welchem in der Ueber-
sicht der Völkerverwandtschaft ein hämitischer Ursprung beigelegt ist.
Wenn man aber bedenkt, daß der Name Kanaan in der heiligen Schrift
eine archaistische Bedeutung hat und sich stets auf einen der israelitischen
Einwanderung vorausgehenden Zustand des Landes bezieht, somit immer
auf die Kluft durch welche die früheren Bewohner von den Israeliten
in Glauben, Sitte und Leben geschieden waren, hindeutet: so wird man
es nicht für nöthig halten, daß in der Verknüpfung Kanaans mit Ham
eine vorherrschende Rücksicht auf die natürlichen Verwandtschaftsver-
hältnisse, wie wir sie durch den Zusammenhang der Sprachen beurkundet
sehen, gefunden werde. Bei der Beziehung, in welcher alle Theile der
heiligen Schrift alten Testamentes zu der Mosaischen Gesetzgebung stehen,
konnte ein der leiblichen Abstammung nach semitisches Volk durch seine
geistige und sittliche Richtung ein hamitisches Gepräge erhalten haben,
wie es im Gegensätze zu den der ursprünglichen Ueberlieferung näher
gebliebenen Semiten den Aegyptiern, deren Land in einheimischer Sprache
Chemi hieß, sowie den einer finsteren Magie und fetischartigen Reli-
gion ergebenen afrikanischen Stämmen eigen war. Es kann aber auch
das phönieische Volk iu unvordenklicher Zeit entweder als ein ursprüng-
lich semitisches durch Vermischung das hamitische Gepräge oder als ein
ursprünglich hamitisches durch Vermischung die semitische Sprache ange-
Kiesel, Weltgeschichte, l. 5