1855 -
Freiburg im Breisgau
: Herder
- Autor: Kiesel, Karl
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Schule, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
dem Seleucldenreiche, Makedonien und Griechenland. 457
Armen Mäßigung und Geduld gelehrt hätte. Die altväterliche Zucht,
welche das alte Rom stark gemacht, war geschwunden während eines
Lebens in fremdem Lande und in fremder Sitte. Die Religion Roms
war bei ihrer bloß in Formen und Gebräuchen sichtbaren Strenge nicht
fähig gewesen, einer Auflösung zu widerstehen, zu welcher die Ausdeh-
nung des Schauplatzes der Thätigkeit so vielen Anlaß bot. Wie die
Entfernung aus der Heimath die Uebung in den religiösen Formen und
Gebräuchen störte, war der sittliche Halt verloren. Die Religionen
des Alterthums sind so sehr örtlicher Natur, daß ihre Wirksamkeit au
das Verweilen in der Heimath, wo die Stätten der Götterverehrung
sind, geknüpft ist. Warnende Vorzeichen großer Erschütterungen hatten
sich schon gezeigt. Ehe innerhalb der Bürgerschaft eine Gährung aus-
brach, war an italischen Bundesgenossen und an Sklaven kund geworden
wohin es führt, wenn ein Theil der Menschen den andern als Werk-
zeug seiner Zwecke braucht. Schon gegen Ende des zweiten punischen
Krieges war in Spanien in Scipio^s Heer ein Aufstand der italischen
Bundesgenossen ausgebrochen, den nur Scipio's große Persönlichkeit zu
dämpfen vermocht hatte. Zur Zeit des pergamenischen Krieges tobte
in Sicilien ein Aufruhr der dort aus allen Nationen zum Anbau der
Staatsländereien zusammengehäuften Sklaven, zu dessen Unterdrückung
ein consularisches Heer nöthig war. Beide Ereignisse sind Vorbilder
fernerer und größerer Erschütterungen, die dem römischen Reiche bei
den in seinem Innern ausgebildeten Gegensätzen bevorstanden.
24. Ging die Kraft, solchen Mißverhältnissen zu begegnen, der
Religion wegen ihrer örtlichen und nationalen Beschränkung ab, so konnte
die literarische Bildung die zu einer Ausgleichung erforderliche milde
und versöhnliche Stimmung noch weniger Hervorbringen, trug vielmehr
zur Schärfung des Unterschiedes bei. Hatten in dem alten Rom, wie
es vor Unterwerfung Italiens war, die Bürger an den Kämpfen um
die Verfassung, der Beschäftigung mit den Angelegenheiten des Staates,
der Verwaltung der Rechtspstege, dem Kriegswesen, eine gemeinschaft-
liche Schule für die Ausbildung zu äußerer Thätigkeit, so schied das
Eindringen griechischer Bildung, da sie das Leben des Volkes im Gan-
zen nicht ergriff, sondern nur dem Leben der Reichen und Vornehmen
als Schmuck diente, die Theile des Volkes noch stärker. Es ist zu be-
nrtheilen unmöglich, welche Grundlagen für einheimische Literatur die
Römer hatten und welche Beiträge die Völker, deren Eigenthümlichkeiten
sich in dem Leben der Römer mischten, dazu geliefert haben. Doch das
ist gewiß, daß es den Römern an einer Mythologie fehlte, wie sie bei
den Griechen die Grundlage der Dichtung gebildet hat. Einigen Ersatz
konnten dafür die mit dichterischer Einbildungskraft fortgepflanzten Er-
innerungen aus der Zeit des jugendlichen Roms gewähren, wie sie