1. Bd. 1
- S. 496
1854 -
Leipzig
: Engelmann
- Autor: Weber, Georg
- Auflagennummer (WdK): 6
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Schulanstalt, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Das Mittelalter.
schast sich Bühn brüch. Nunmehr bekämpften über die geringern, von allen
Aemtern und politischen Rechten ausgeschlossenen Bürger die aristokratische Herr-
schaft der Patrizierfamilien. Und damit sie dies mit besserm Erfolg voll-
bringen möchten, trat der Handwerkerstand allenthalben in Gilden,
Zünfte und Innungen zusammen. Dadurch wurde ein Gemeingeist erzeugt,
der für die Erstarkung des untern Bürgerstandes von den wichtigsten Folgen war.
Bald erlangten die von Zunftmeistern geleiteten, mit eigenen Fahnen und
Versammlungsorten (Herbergen) versehenen Handwerkerzünfte, deren Kraft
in den derben Fausten der „Gesellen" bestand, solche Macht, daß sie sich nicht
nur allenthalben bürgerliche Rechte und Antheil an der städtischen Verwaltung
erkämpften, sondern daß in sehr vielen Städten das aristokratische Geschlechter-
regiment mit dem ständigen Schöffenthum durch eine demokratische
Zunftregierung mit Rathmannern aus der Gemeinde verdrängt
wurde, was natürlich nicht ohne blutige und gewaltsame Kampfe bewirkt ward;
nur in wenigen blieben, wie in Nürnberg, die Patriziergeschlechter bis zur
Reformation im Besitze der höhern Stellen. Die Zünfte, deren Glieder in den
Feierstunden den Wasfenübungen oblagen, bildeten die streitbare Bürgermacht in
den Kämpfen der Städte wider den Adel (§. 359). Geschützt durch Mauern,
Thürme und Graben trotzten sie den Angriffen der geharnischten Ritter und zogen
mit eigenen Fahnen unter der Leitung ihrerzunftmeister ins Feld, um die Freiheit
nach Außen zu vertheidigen, wie sie dieselbe im Innern zu erringen und zu be-
haupten gewußt. Mit dem Wohlstand und der äußern Macht kehrte auch gesellige
Heiterkeit und Lebenslust, gehoben durch Zunfttanze, Maispiele, Schützenfeste und
Kurzweil aller Art in die Städte ein.
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An den beiden Hauptströmen Deutschlands, am Rhein und an der D onau, ferner
in den Provinzen Rhätien, Noricum und Pannonien waren zur Zeit der Römer
theils aus befestigten Lagerplätzen, theils aus eigentlichen römischen Colonien, theils aus
Handelsstationen eine Reihe von ansehnlichen Städten entstanden, „deren Reichthum und
Glanz hier und da noch aus den erhaltenen Trümmern ersichtlich ist, deren römische Ver-
fassung zumtheil noch durch aufgefundene Inschriften bezeugt ward. Einzelne, wie Cöln,
genossen sogar des in diesen Gegenden seltenen Vorzugs des italischen Stadtrechts." Diese
Römerstädte überdauerten in ihrem äußern Bestand die Stürme der Völkerwanderung, so
viele Verwüstungen auch über sie hingingen; und einzelne, wie Cöln, Trier, Rcgens-
burg, mögen auch noch einige Trümmer der altstädtischen Verfassung und Einrichtung aus
dem allgemeinen Ruine in die spätern, etwas ruhiger» Zeiten gerettet und unter dem
Schutze der Kirche neu belebt haben, wie denn einige in der Cölner Richerzech heit, einer
patrizischen Genossenschaft, aus welcher die Schöffen, Bürgermeister und Zunftmeister ge-
wählt wurden, eine Fortsetzung der altrömischen Curie erkennen wollten. Die meisten
jedoch erhielten neue Bevölkerung und neue, germanische Einrichtungen und Satzungen.—
Die deutschen Städte, die ihren Ursprung im Z ei t a l t e r der Karolinger nahmen,
waren theils bischöfliche Städte, welche ihre Entstehung oder ihr neues Empor-
kommen der bischöflichen Kirche verdankten (§. 272.), theils königliche Städte, die
ihren Ursprung von ansehnlichen Pfalzen des Königs in der Mitte der Reichskammer-
güter genommen, und sich daher unmittelbar unter der Vogtci desselben befanden wie
z. B. Frankfurt a. M., Ulm, Nürnberg. An vielbesuchten Klöstern und Stiftern
wurden zur Zeit der großen Feste Markte angelegt, die nicht selten zur Gründung von
Handelsplätzen Anlaß gaben. „Weltliche und geistliche Geschäfte, Andacht und Gewinn-
sucht, gingen Hand in Hand, durchdrangen sich einander; die heiligsten Stätten, nicht die
Kirchhöfe allein, auch die Kirchen, erfüllten sich mit anstößigem Getümmel. In Kirchen