1. Bd. 2
- S. 14
1854 -
Leipzig
: Engelmann
- Autor: Weber, Georg
- Auflagennummer (WdK): 6
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Schulanstalt, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Die Vorboten der neuen Zeit.
ergrimmt, daß sie ihn der Ketzerei beschuldigten, eine seiner Schriften, den Au-
1514. genspiegel, öffentlich verbrannten, die griechische Sprache als Mutter aller
Häresien und das Erlernen des Hebräischen alshinneigung zum Iudenthum dar-
stellten. Dies gab das Signal zu einem heftigen Federkriege, in dem alle Freunde
der Bildung, und namentlich die strebsame Jugend, auf Reuchlins Seite traten
und die Sache der freien Wiffenschaft gegen Geistesbeschranktheit und rohe Ge-
waltthatigkeit so kräftig verfochten, daß endlich der päpstliche Hof sich gemüßigt
sah, dem fernem Streiten zu wehren und dem Humanismus den Sieg zuzugestehen.
Die Kölner wurden zu den Prozeßkosten verurtheilt und, als sie mit deren Ent-
richtung zögerten, von dem aufgeklarten Franz von Sickingen, dessen
Stammschloß, die Ebernburg bei Kreuznach, der Sammelplatz vieler freisin-
niger Männer war, mit Gewalt dazu angehalten. Dieser Streit, bei welchem der
Kaiser und alle Fürsten und Städte Partei für Reuchlin nahmen, mehrte die
Zahl der Humanisten und förderte die Sache der Bildung. Von dem Kreise, der
sich um Reuchlin schaarte, gingen die Briefe der Dunkelmann er (Obscu-
ranten) aus, bei deren Abfassung namentlich Ulrich von Hutten thatig gewesen
sein soll. In diesem ist „die Dummdreistigkeit der Bettelmönche, ihre gemeine
Sittenlosigkeit und ihr Zetergeschrei über die Ketzerei der Humanisten mit ihrem
eignen Küchenlatein als so treue Carricatur dargestellt, daß anfangs Dominicaner
selbst dieses Buch verbreiteten, gegen das sie nachher vergeblich Bannflüche
aufboten."
§. 433. Erasmus von Rotterdam (1467 —1536), ein kluger,
feiner Mann voll Scharfsinn und Witz. Er wurde in seiner Jugend beredet, in
ein Kloster zu gehen, obwohl seine ganze Natur dem Mönchsleben widerstrebte.
Durch den Beistand des Bischofs von Cambray erhielt er nach einiger Zeit seine
Freiheit wieder und die Vergünstigung, in Paris Theologie zu studiren. Hier
faßte er einen solchen Widerwillen gegen die Scholastik, daß er sie, wie auch
das Mönchs wesen, sein ganzes Leben hindurch mit allen Waffen des Witzes
und Verstandes bekämpfte. Bald erscholl sein Ruhm bei allen europäischen Völ-
kern; Fürsten und Edelleute überhäuften ihn mit Einladungen, Geschenken und
Schmeicheleien; in allen Landern begehrte man seiner und suchte ihn durch glan-
zende Versprechungen zu locken. Aber er zog ein freies Literatenleben jedem Amte
vor; er bereiste alle Staaten des civilisirten Europa's, hielt sich aber zuletzt größ-
tentheils in Basel auf, wo er in Verbindung mit dem Buchdrucker F r o b en
eine Menge Schriften in der Sprache und im Geiste des Alterthums herausgab.
„In sein Haus zu Basel strömten die Geschenke; von allen Seiten besuchte man
ihn, nach allen Weltgegenden empfing er Einladungen. Ein kleiner, blonder
Mann mit blauen halbgeschlossenen Augen voll Feinheit der Beobachtung, Laune
um den Mund, von etwas furchtsamer Haltung: jeder Hauch schien ihn umzu-
werfen: er erzitterte bei dem Worte Tod." Unter seinen zahlreichen Werken sind
das Lob der Narrheit und die correcte Ausgabe des Neuen Testa-
ments im griechischen Urtexte nebst lateinischer Uebersetzung und Umschreibung
(Paraphrase) die wichtigsten. Jenes, eine volksthümliche Satire in lateinischer
Sprache, aber vielfach übersetzt, geißelte die Thorheiten aller Stande, besonders
der Geistlichen und Mönche; dieses regte zum Studium der Heiligen Schrift in
der Ursprache an und that der Reformation großen Vorschub. Als nach Luthers
Austreten der Kampf des Neuen gegen das Alte eine so großartige Gestalt an-
nahm, zog sich Erasmus, ein schüchterner, auf ruhigen Genuß des Lebens be-
dachter Mann, scheu zurück und bekämpfte Luthers Verfahren, das er anfangs
gebilligt. Erasmus hatte für die Leiden des Volks kein Herz und jede gewaltsame