1. Bd. 2
- S. 74
1854 -
Leipzig
: Engelmann
- Autor: Weber, Georg
- Auflagennummer (WdK): 6
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Schulanstalt, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Das Zeitalter der Reformation.
1533.
1534.
1539,
einer Scheidung zu erlangen. Gestützt auf eine Reihe von Gutachten einhei-
mischer und auswärtiger Universitäten und gelehrter Körperschaften über die
Unzulässigkeit seiner Ehe, ließ er sich durch den zum erzbischöflichen Stuhl von
Canterbury erhobenen Thom. Cranmer eigenmächtig scheiden, nachdem er
sich schon vorher mit Anna hatte trauen lassen (1532); er nöthigte ferner
den Klerus, ihn als Oberhaupt der englischenkirche anzuerkennen
und brachte das servile Parlament zu einer Reihe von Beschlüssen, durch die
des Papstes Autorität über England abgeschafft wurde. Der hoffärtige Kar-
dinal Wolsey, der bisher den König unbeschränkt geleitet, starb in Un-
gnade, weil er die Scheidung lässig betrieben und Thomas Cromwell, ein
dienstfertiger Knecht seines despotischen Gebieters, erlangte die Kanzlerwürde
und leitete, in Verbindung mit Cranmer, die kirchlichen Neuerungen nach
Heinrichs Laune.
Die zahlreichen Klöster wurden gewaltsam aufgelöst; die Mönche und
Nonnen kaum vor Hunger geschützt und die reichen Klostergüter theils der Krone
verliehen, theils an Höflinge verschenkt, theils zu wohlthatigen Anstalten ver-
wendet. Gegen die Schatze alter Kunst und Wissenschaft verfuhr man dabei mit
rohem Vandalismus. — Nächst den Klöstern wüthete der König besonders gegen
Gnadenbilder und andere Gegenstände einer abergläubischen Verehrung.
Beckets (§. 372.) Grab mit dem reichen Altäre wurde geschändet und beraubt
und das Andenken des alten Heiligen durch eine lächerliche Procedur gehöhnt;
mit hölzernen Heiligenbildern zündete man die Flammen an, die Papisten wie
Lutheraner verzehrten; die erstem traf der Zorn des despotischen Königs, weil
sie, wie der ehrwürdige Bischof Fisher und der von klassischer Bildung und hel-
lenischem Witz durchdrungene Thomas Morus (§. 433.), seine Gewaltmaß-
regeln wider Papst und Kirche mißbilligten; die letztern der Grimm des scholasti-
schen Theologen, der seine einst gegen Luther behaupteten Ansichten auch später
noch festhielt. Darum ließ er nicht nur alle Dogmen, Gebräuche, Eeremonien
und hierarchische Einrichtungen der alten Kirche bestehen, sondern er beschränkte
auch den anfangs gestatteten Gebrauch der von dem flüchtigen Tindall über-
setzten englischen Bibel und gebot durch das S ta tu t der sech s „B lu t"-
Artikel bei Todesstrafe die Beobachtung des Cölibats, der Ohrenbeichte,
der Mönchsgelübde, der Sti llmessen, der Substanzverwandlung
und der Kelch entzieh un g.
§. 502. Wie Heinrich Viii. mit dem religiösen Bewußtsein des Volks
ein tyrannisches Spiel trieb, so auch mit dem Leben seiner Unterthanen und
den Köpfen seiner Frauen. Als die Enthauptung Fishers und More's
und die blutige Verfolgung der Karthäuser und anderer päpstlich Gesinnter
die Rache des römischen Hofs hervorrief, und ein furchtbarerbannfluch gegen
den König und seine Anhänger ausging und von dem englischen Kardinal
Pole, einem Verwandten des Königs, verbreitet wurde, ließ dieser die
80jährige Mutter desselben, den letzten Sprößling der glorreichen Planta-
genets, und alle seine Freunde auf dem Blutgerüste oder am Galgen ster-
den; und als die Unzufriedenheit über die Auflösung der Klöster im Norden
des Reichs eine Empörung unter dem Landvolk erregte, wobei Mönche die