1. Bd. 2
- S. 163
1854 -
Leipzig
: Engelmann
- Autor: Weber, Georg
- Auflagennummer (WdK): 6
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Schulanstalt, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
Der Norden Europa's.
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Die schöne Cultur des Reformationsjahrhunderts ging unter. Die Kunst ver-
schwand ganz, und in der Literatur verdrängte die Nachahmung fremder Unnatur
die nationalen Geistesprodukte. Frankreichs Sprache, Literatur und Moden herrsch-
ten von nun an in Deutschland und im übrigen Europa. Geschmacklose Trach-
ten, gepuderte Haare und Perrücken und die tausend Auswüchse einer unnatür-
lichen Convenicnz galten fortan als Kennzeichen feiner Bildung. Das Spani-
sche wurde durch das Französische verdrängt, aber auch das altdeutsche
Volksthuni erlag dem Einfluß des Fremden.
I!. Der Norden Europa's.
tz. 586. Christine von Schweden. Durch Gustav Adolfs Herr-Christine
schertalent und Feldherrngröße nahm Schweden einen mächtigen Aufschwung
nach Außen undinnen. Wahrend der Minderjährigkeit seiner Tochter Chri-
stine leiteten die fünf höchsten Beamten (worunter Axel Oxenstierna
und zwei seiner Verwandten den größten Einfluß besaßen) als Vorsteher des
Reichsraths die Angelegenheiten des Staats zwölf Jahre lang. 1032-44.
Unter diesem Regiment vermehrte der Adel seine ohnedieß schon sehr
hohen Vorrechte, so daß von dieser Zeit an eine mächtige Aristokratie mit dem
Königthum in stetem Kampfe lag. Befreiung von Steuern und Zöllen, Jagd-
und Fischereirecht und Alleinbesitz der einträglichen Aemter gehörten zu seinen
Privilegien. Der Bauernstand war arm und gedrückt; die Krone hatte ein ge-'
ringes Einkommen, das unter Christine noch abnahm, weil diese Fürstin, um
ihre Liebe zu Künsten und Wiflenschaften, wie ihren Hang zu glanzenden Hof-
festen und zu verschwenderischer Freigebigkeit zu befriedigen, viele Krongüter ver-
kaufte. Die Besoldungen der Reichsräthe dagegen waren auffallend groß. —
Durch Beförderungen der Künste und Wiflenschaften verlieh übrigens Christine
ihrem Lande hohen Glanz. Sie selbst besaß vielseitige gründliche Kenntnifle und
ging gerne mit Gelehrten um. Darum berief sie aus allen Landern Männer der
Wissenschaft nach Stockholm (Salmasius, Cartesius, Heinsius, Hugo Grotius
u. A.). Ihre Bildung war männlich wie ihr Charakter und Wesen, aber ihre
Natur fühlte sich in dem rauhen protestantischen Norden nicht heimisch.
Nach einer zehnjährigen selbständigen Regierung entsagte Christine der
Krone von Schweden zu Gunsten ihres Vetters Karl Gustav, behielt sich
eine bedeutende Leibrente vor und verließ das Land ihrer Väter. In Ins-
bruck trat siefeierlich zur katholischenkirche über, durchreiste dann
die Niederlande, Frankreich und Italien und nahm endlich ihren bleibenden
Aufenthalt in dem von aller Herrlichkeit der Kunst angefüllten Rom, wo
Künstler und Dichter ihr reichliches Lob und Schmeicheleien spendeten. Da
ihre Geldbezüge in Stocken kamen, war ihr Alter von Sorgen verbittert.
Sie starb im Jahr 1689. Ihre Leiche liegt in der St. Peterskirche. Eitel-
keit war der Grundfehler ihrer Natur.
§. 587. Karl X. Durch die Ausdehnung der Steuerfreiheit auf die vom
Adel allmählich erworbenen, früher steuerpflichtigen Güter und durch die Ver-
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