1. Bd. 2
- S. 249
1854 -
Leipzig
: Engelmann
- Autor: Weber, Georg
- Auflagennummer (WdK): 6
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Schulanstalt, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
Das Zeitalter Ludwigs Xiv.
249
die Ostseeländer zum Kriegsschauplätze, sondern beschloß, auf Moskau los-
zurücken und in das Herz von Rußland zu dringen. Er nahm Grodno
und Wilna weg, setzte im Juni über die Berezina und schlug den Weg i708.
nach Smolensk ein. Kein russisches Heer bestand vor dem tollkühnen
König, der an der Spitze seiner tapfern Truppen Flüsse durchwatete und weg-
lose Morastgegenden überschritt. Aber jetzt trat ein Wendepunkt in Karls
Lebenein. Statt seinen Feldherrn Löw enhaupt, der mit frischen Trup-
pen und mit Kleidung und Nahrungsmitteln für das ermattete Heer auf dem
Wege zu ihm war, abzuwarten und dann mit vereinten Kräften auf Smo-
lensk loszugehen, ließ er sich durch den alten Kosakenhetmann Mazeppa,
der sich mit schwedischer Hülfe von Rußlands Oberherrlichkeit frei machen
wollte und dem König Hülfstruppen und reichliche Zufuhr versprach, zu
einem höchst beschwerlichen Marsch in die von Ungeheuern Wäldern und
Steppen durchschnittene Ukraine bereden. Dies gab den Russen Gelegen-
heit, ihre ganze Macht gegen Löwenhaupt zu richten, und so glänzende
Proben eines ausgezeichneten Feldherrntalents dieser auch ablegte, so konnte
er doch nur nach Aufopferung seiner ganzen Artillerie, alles Gepäcks und aller
Vorräthe mit einem geringen Heer den rastlos vorwärts eilenden König
erreichen. Auf die herbstlichen Regengüsse, welche Krankheiten erzeugten
und die Wege zerstörten, folgte ein äußerst harter Winter; dennoch setzte i708—».
Karl, allen Vorstellungen zum Trotz, seinen Marsch fort, obwohl Mazeppa's
Verheißungen sich als unwahr auswiesen und die Kosaken wenig Lust zeig-
ten, sich der russischen Schutzherrlichkeit zu entziehen. Mit verblendetem
Starrsinn rannte Karl in sein Verderben; viele seiner abgehärteten Soldaten
erlagen der Kälte, Tausenden erstarrten Hände und Füße; feindliche Schaa-
ren, die ihnen nachrückten und jede mißliche Lage zu Angriffen benutzten,
lähmten den Muth, und der Abgang von Lebensmitteln brach auch des
Stärksten Kräfte. Endlich schritt Karl zur Belagerung der festen Hauptstadt
Pultawa; aber bei dem Mangel an Geschütz konnte wenig ausgerichtet
werden. Die Belagerung dauerte mehrere Monate, bis Peter selbst an der
Spitze einer bedeutenden Streitmacht vor Pultawa erschien und den Schwe-
denkönig, der kurz zuvor am Fuße verwundet worden, zu einem Treffen
zwang. Die Schlacht von Pultawa entschied wider die Schweden.
Rhenskjöld, der die Anordnungen getroffen, Piper und viele der ersten
Militärbeamten geriethen in Gefangenschaft, alles Gepäck und die reiche
Kriegskasse siel in die Hände der Sieger. Karl Xu. wurde aus dem stolzen
Ueberwinder dreier Könige ein hülfloser Flüchtling, der sich nur durch die
angestrengteste Flucht in einer obdach- und nahrungslosen Steppe mit etwa
2000 Begleitern auf das türkische Gebiet rettete und kaum den Grenzfluß
Bug bei Oczakow glücklich überschritten hatte, als die nachsetzenden Russen
am andern Ufer ankamen. Löwenhaupt sammelte den Rest der Flüchtigen;
da aber bei dem Mangel an Nahrung und Geschütz kein Rückzug möglich