1. Bd. 2
- S. 259
1854 -
Leipzig
: Engelmann
- Autor: Weber, Georg
- Auflagennummer (WdK): 6
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Schulanstalt, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
Innere Zustände.
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Kleider vom Leibe reißen und kattunene Bettvorhänge aus den Häusern wegnehmen ließ;
er war ein abgesagter Feind der neuen französischen Bildung und Mode und duldete weder
Schöngeister noch Sprach- und Tanzmeister in seinen Staaten; mit der alten Tracht und
den vaterländischen Sitten hoffte er auch deutsche Zucht und Ehrbarkeit und altgläubige
Frömmigkeit ausrecht zu erhalten» Fremde, zum Ackerbau und zur Gewerbthätigkeit fähige
und willige Ansiedler fanden bei ihm Schutz und Obdach; zur Unterstützung der von dem
fanatischen Bischof von Salzburg aus ihrer Heimath vertriebenen Protestanten gab der
sonst so sparsame Monarch Millionen her, um sie in den verödeten Gegenden seiner Staa-
ten bequem anzusiedeln.
Alle Handlungen dieses sonderbaren Fürsten zeugen von einer derben, oft
harten Natur, aber von einem geraden, rechtlichen Sinne und von einem prakti-
schen Verstände, der sich nicht durch den Schein bestechen ließ, sondern auf den
Grund ging. Seine Polizei war despotisch, seine Gerechtigkeitspflege
oft willkürlich; persönliche Freiheit wurde nicht geachtet, aber am Hofe herrschte
bürgerliche Tugend und Einfachheit, des Volkes Wohlfahrt war das Ziel des
Monarchen; deutsche Tüchtigkeit fand Geltung und wurde nicht durch fremden
Schimmer verdrängt; dies bewirkte, daß man sich willig der strengen Zuchtruthe,
die Friedrich Wilhelm über Hoch und Niedrig schwang, fügte und über dem zu-
nehmenden Wohlstand den Mangel der Freiheit übersah. Des Königs eigenes
Beispiel bewies, wie viel durch Sparsamkeit, umsichtigen Haushalt und Be-
nutzung aller Kräfte erreicht werden könnte; denn obgleich er für seine Pots-
d amer G a rd e, zu der er aus allen Landern Europa's „lange Kerle" wer-
den und stehlen ließ, ungeheuere Summen aufwendete, obgleich er ein Kadetten-
haus, ein Waisenhaus, ein Krankenhaus und manche andere nützliche Anstalt
gründete und Pommern um eine hohe Geldsumme von Schweden kaufte (§.649.),
hinterließ er doch bei seinem Tode einen baaren Schatz von mehr als acht Mil-
lionen Thaler, einen großen Reichthum an silbernen Gerätschaften, eine geord-
nete und vermehrte Staatseinnahme und eine bedeutende, von dem Fürsten
Leopold von Dessau (dem alten Deffauer) trefflich organisi'rte und geübte
Kriegsmacht.
Die Furcht vor dem heftigen Könige, der von Allem Einsicht nahm und jede Ueber-
tretung oder mangelhafte Vollziehung Mner Befehle aufs strengste bestrafte, trieb alle Be-
amte, trotz der großen Verminderung ihrer Besoldungen, zur pünktlichsten Erfüllung ihrer
Berussgeschäfte. Friedrich Wilhelm glich in seinem ganzen Thun und Lassen einem derben
Landjunker von einer ungebildeten, aber auch unverdorbenen Natur. Die wilden Jagden
im Walde von Wusterhausen, denen er in seinen kräftigen Jahren mit Leidenschaft oblag,
mußte er später wegen großer Beleibtheit einstellen; dafür unterhielt er sich in seinem Zim-
mer mit Drechseln und Handarbeiten.
§. 654. Friedrichs Ii. Jugend. Friedrich war in vielen Stücken der
Gegensatz seines Vaters. Wenn dieser seinen wilden Jagden nachging oder mit
seiner Umgebung eine rohe Unterhaltung führte, beschäftigte sich der talentvolle,
geistreiche Prinz mit französischen Schriftstellern und mit dem Flötenspiel, das er
leidenschaftlich liebte. Die Verschiedenheit ihrer Natur entfremdete beide einander.
Friedrich nahm Anstoß an des Vaters Tyrannei gegen seine Familie, an seinem
barschen Wesen, an seiner Härte gegen Dienstboten und Soldaten; eine unüber-
windliche Abneigung faßte in seiner Seele Wurzel, und da Friedrich Wilhelm,
erbittert, daß sein Sohn einen andern Weg einschlagen wolle, ihn durch strenge
Ausübung der väterlichen Gewalt von dieser Richtung abbringen wollte, so nahm
die Kälte und Abneigung mit den Jahren zu, so daß Friedrich endlich, als der
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