1. Bd. 2
- S. 290
1854 -
Leipzig
: Engelmann
- Autor: Weber, Georg
- Auflagennummer (WdK): 6
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Schulanstalt, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Das Revolutions-Zeitalter.
und andere europäische Länder kennen gelernt, verfaßt wurde, ist in einem gemäßigteren
und ernstern Ton gehalten. Um so wirksamer waren die mit Ruhe und Klarheit niedcrge-
lcgten Lehren von einer vernünftigen Freiheit. Bei der Darstellung der verschiedenen Staats-
formen wird die r e p u b li k a n i s ch e als Ideal obenangestellt, die aber nur bei hoher Bür-
gcrtugcnd .möglich sei. Nach ihr kommt die c o n stitu tio n elle Verfassung Englands,
mit scharfer Trennung der drei Gewalten, der gesetzgebenden, ausübenden und
richtenden, und zuletzt die ab so l u t e, die leicht in D esp o ti e umschlage und als Ur-
sache aller Entartung und alles Sittenverderbs anzusehen sei. Dabei wurden das Gerichts-
verfahren, das Besteuerungswesen und andere in Frankreich herrschende Mißstände stark
gerügt und das Fehlerhafte in der Regierungsweise aller Staaten des europäischen Fest-
landes hcrvorgehoben, Religion und Kirche dagegen mehr geschont als in den persischen
Briefen.
Rousseau. Den größten Einfluß auf die Umgestaltung der Ansichten und Meinungen
seiner Zeit, hatte I o h. I a k. R o u s s e a u. Er war in Genf geboren und zu dem Gewerbe
seines Vaters, eines Uhrmachers, bestimmt, entfloh aber der Strenge seines Lehrmeisters
und führte von dem an ein vielbewegtes, erfahrungsreiches Leben, bald in Savoyen und
Oberitalien, bald in Paris oder in der ländlichen Stille von Montmorenci, bald als ver-
folgter Flüchtling auf der Petersinsel im Vieler-See, im Neuenburger Kanton unter dem
Schutze Friedrichs Ii., in England bei dem Geschichtschreiber Hume, bis er, gedrückt von
Schwermuth und Lebensüberdruß, plötzlich aus dem Gute eines seiner Verehrer unweit
Paris starb. Er selbst hat alle Umstände seines äußern und innern Lebens in seinen Be-
kenntnissen mit seltener Offenheit und Aufrichtigkeit der Welt dargelegt, eine Lebensge-
schichle, die um so wichtiger ist, als sich die Richtung seiner Ansichten daraus erklären läßt.
Frühe seiner Mutter beraubt erhielt er eine mangelhafte Erziehung. Er las mit seinem
Vater eine Menge von Romanen ohne alle Auswahl, wodurch sein Gefühl überreizt, seine
Phantasie mit unwahren und idealen Gebilden angefüllt wurde, indeß sein Geist ohne ge-
diegene Kenntnisse und echte Belehrung blieb. Durch seine Geburt und Erziehung war er
an Einfachheit, an bürgerliche Zucht gewöhnt und blieb daher sein Leben lang ein Feind
des Luxus und der Ungleichheit der Güter. Aus seinen Wanderungen sah er den Druck der
Armuth, die Mißhandlung der dienenden und arbeitenden Klasse durch die Reichen und
Vornehmen, und sein Gemüth empörte sich über diese Ungerechtigkeit. Die bürgerlichen
Zustände mit ihrer Standesverschiedenheit und den großen Unterschieden des Ranges und
Vermögens kamen ihm verkehrt und unnatürlich vor; er fand die Ursache dieser Gebrechen
in der gesteigerten Civilksation und stellte daher in seinen zwei ersten Schriften die Künste
und Wissenschaften als die verderblichsten u n b unheilvollsten Güter
der Menschheit dar. Ein eingebildeter Naturzustand wurde von ihm als die Heimath
der Freiheit und der Unschuld gepriesen und nur in dem Rückgänge zu diesem und in der
Abschüttelung aller Fesseln, die Bildung , Erziehung und Gewohnheit geschlungen, sah er
das Heil der Welt. In einem andern Buche, dessen Grundsätze auf den Gang der franzö-
sischen Revolution vom größten Einflüsse waren, in dem Gesellschastsvertrag (contrat
social) stellt er die Gleichheit aller Menschcn als Bedingung jedes Staats dar und
findet nicht wie der von ihm bekämpfte Montesquieu in einer constitutionellen Verfassung,,
sondern in der völligen Demokratie mit gesetzgebenden Volksversammlun-
gen die würdigste Staatsform und in dem leiblichen Wohlbefinden des Volks den höchsten
Zweck des Staats. — Wie Rousseau hierin die bestehenden Regierungsformen erschütterte,
so in seinen berühmtesten Werken: die neue Heloise und Emil die Sitten, Gewohnhei-
ten, Lebensweise und Erziehung der damaligen Zeit. In dem erster« schildert er in poeti-
scher Sprache und in der Form eines in Briefen geschriebenen Romans die Vorzüge eines
sentimentalen Naturlebens vor den verschrobenen Verhältnissen der Wirklichkeit und durch
das letztere suchte er eine auf Natur und Elternliebe beruhende vernünftige Erziehung zu