1. Bd. 2
- S. 327
1854 -
Leipzig
: Engelmann
- Autor: Weber, Georg
- Auflagennummer (WdK): 6
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Schulanstalt, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
Rußland unter Katharina Ii. und Polens Theilung. 327
nutz, nicht Nächstenliebe, die Triebfeder ihrer Beschützerin gewesen. Im April
erklärten Preußen und Rußland, daß man sich genöthigt sehe, Polen in
engere Grenzen einzuschließen, um den Freiheitsschwindel, der von Frankreich
aus in die Republik eingedrungen, zu ersticken und die Nachbarstaaten vor
jeder Ansteckung des demokratischen Iakobinismus zu bewahren. Umsonst
widersetzte sich der in Grodno versammelte Reichstag dem neuen Theilungs-
vertrag. Russische Truppen umstellten das Sitzungshaus und erzwangen
zuerst die Abtretung der von Katharina begehrten Landschaften (Litthauen,
Kleinpolen, den Rest von Wolhynien, Podolien, Ukraine, über 4000 Qua-
dratmeilen mit mehr als drei Millionen Einwohnern). Hartnäckiger wider-
standen die Landboten der preußischen Forderung; als aber die kühnsten
Sprecher von den russischen Soldaten, die den Versammlungssaal von Außen
und Innen umstellt hatten, verhaftet und weggeführt worden, wagten die
Uebrigen nicht mehr, ihren Widerstand laut werden zu lassen. Ihr Still-
schweigen wurde als Einwilligung gedeutet und der Vertrag vollzogen.
Dadurch erhielt Preußen Großpolen nebst Danzig und Thorn, 1000 O.ua-
dratmeilen mit mehr als einer Million Bewohner, Rußland Podolien und die
Ukraine nebst der Hälfte von Litthauen und Wolhynien, 4553 Q..-Meilen mit
3 Millionen Bewohner. Der Republik Polen blieb kaum mehr ein Drittel ihres ehemaligen
Gebiets. Die Auftritte in Grodno glichen an Brutalität und Gcwaltthätigkeit den gleich-
zeitigen Schrcckensmaßrtgeln der französischen Demokraten. Mit höhnender Sophistik
hatte der preußische Gesandte erklärt, sein König habe mit der Republik Polen einen
Bund geschlossen; da diese aber in eine constitutionelle Erbmonarchie umgewan-
delt worden, so sei er seiner Verpflichtung enthoben.
Um dem noch übrigen Polenreich und seinem ohnmächtigen König den
letzten Rest von Selbständigkeit zu rauben, wurde der immerwährende
Rath wiederhergestellt und ein neuer Bundesvertrag mit Rußland
abgeschlossen, vermöge dessen die Polen ohne Erlaubniß der Kaiserin keine
Veränderung in der Verfassung vornehmen und mit keiner fremden Macht
ein Bündniß eingehen durften, indeß die russischen Truppen das Recht haben
sollten, zu jeder Zeit in das Königreich einzurücken.
tz. 701. Polens Ende. Im Vertrauen auf die verschiedenen Heer-
abtheilungen der Russen und Preußen, die selbst nach Abschluß des Vertrags
das Land nicht räumten, gebot Katharinas Gesandter, der barsche und über-
müthige Igelström, mit despotischem Trotze in Warschau. Da erwachte
noch einmal der polnische Nationalgeist. Es bildete sich eine geheime, durch
das ganze Land verzweigte Verschwörung. Die ausgewanderten Patrioten,
vor allen Kosciuszko, kehrten zurück und stellten sich an die Spitze der
Bewegung. Igelströms Befehl, die polnischen Heere aufzulösen, gab das
Signal zum Aufstand, dessen Mittelpunkt Krakau war. Kosciuszko, zum
unumschränkten Befehlshaber der Nationalmacht ernannt, erließ von Krakau
aus einen Aufruf an das Volk, in welchem er die Wiederherstellung der Frei-
heit und Unabhängigkeit des Landes, die Wiedereroberung der entrissenen
1793.
Septbr.
1793.