1. Bd. 2
- S. 580
1854 -
Leipzig
: Engelmann
- Autor: Weber, Georg
- Auflagennummer (WdK): 6
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Schulanstalt, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
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Die jüngsten Revolutionsstünue.
Die Ansicht, daß die Revolution ihren Zug durch Europa machen würde, setzte
sich in vielen Köpfen fest und trieb sie an, ihr fördernd entgegen zu kommen.
Die ersten Wirkungen zeigten sich in Deutschland, und zwar an der Grenze, in
Baden. Das rege politische Leben, wodurch sich das Großherzogthum schon
lange vor den übrigen deutschen Staaten ausgezeichnet, schien ihm das Recht zu
geben, mit der Fahne des Fortschritts und der Neugestaltung voran zu gehen.
Dringende Petitionen an die gerade versammelten Landstande, in stürmischer
Weise überbracht, verlangten: Preßfreiheit, Schwurgericht, Bürger-
wehr unter freigewählten Führern, und ein deutsches Parlament, auf
das kurz zuvor in der badischen Kammer durch den Abgeordneten Bassermann
ein Antrag gestellt worden war und das dem die Regierungen vertretenden Bun-
destag als Repräsentation des Volks zur Seite treten sollte. Die badische Re-
gierung gewährte nicht nur diese Punkte, so viel in ihrer Macht stand, sondern
erließ auch im Verein mit den Kammern ein G e setz zur Au fh e b ung aller
Feudallasten mit künftiger Entschädigung der Betheiligten
aus der Staatskasse und entfernte mehrere bei dem Volke unbeliebte Beam-
ten und Hofleute von ihren bisherigen Stellen; unpopuläre Deputirte legten ihre
Mandate in die Hände ihrer Wähler nieder und wurden durch andere ersetzt.
Das Beispiel Badens wirkte auf die übrigen deutschen Staaten. Dieselben For-
derungen wurden nach und nach allenthalben gestellt und gewährt und damit in
den verschiedenen Landern verschiedene andere verbunden. In W ü r t e m b e r g,
Sachsen und andern Staaten wurden die Häupter der liberalen Opposition in
die Ministerien berufen, und die Zügel der Regierung in ihre Hände gelegt; stän-
dische Mißbräriche wurden abgeschafft, beschränkte Wahlgesetze einer Umänderung
unterworfen, der Bundestag im liberalen Sinn umgestaltet und freisinnige
Vertrauensmänner zur Berathung einer neuen Bundesverfassung ihm bei-
geordnet. Aber vollständig und sicher wurde der Sieg der Liberalen erst durch
die Umwälzung in Wien und Berlin.
§. 849. O estreich. Wie Louis Philipp galt auch der in den diplomati-
schen Künsten einer verwickelten Staatsweisheit ergraute Fürst Metternich als
der größte Staatsmann und Volksregierer, und sein Rath und Wort wurde von
den deutschen Regierungen wie ein Orakel angehört und befolgt. Aber auch seine
Stunde hatte geschlagen. Er wollte die Macht des Zeitgeistes nicht anerkennen
und hielt die morschen Grundpfeiler des Polizeistaats für stark genug, den stür-
menden Andrang der jungen Freiheit zu bestehen. Ueber den Genüssen des Lebens
hatte er nicht bemerkt, wie die Literatur der Opposition als Verführer sich in >
die östreichischen Lande eingeschlichen und das verfaulte Staatswesen schonungslos
aufgedeckt hatte. Fürst Metternich hatte, wie sein Freund Gentz, nach dem
Grundsatz gelebt: wenn es nur uns noch aushält, mag auch die Nachkommen
die Sündfluth bedecken! Doch es hielt ihn nicht mehr aus! Die Nachrichten aus
Paris erzeugten im ganzen Kaiserstaat eine fieberhafte Aufregung. Die Stände
von Ungarn, die eine selbständige Nationalregierung unter dem Erzherzog
Palatin, eine Reform ihrer Verfassung, Minderung der Steuern, Befreiung
von den Beiträgen zu der östreichischen Staatsschuld und für das ungarische Mi-
litär das Vorrecht verlangten, nicht außerhalb ihres Königreichs dienen zu müs-
sen, bestürmten die kaiserliche Hofregierung mit dringenden Petitionen; dasselbe
geschah in Prag, wo im vorhergehenden Jahre die böhmischen Stände in
ihren Rechten und ihrer Ehre tief gekränkt worden waren, und endlich in Wien
selbst, wo im März die östreichischen Landstände zusammen traten. Der ungewisse
Zustand des in den Schleier des Geheimnisses gehüllten Finanzwesens hatte ein