1. Bd. 2
- S. 35
1854 -
Leipzig
: Engelmann
- Autor: Weber, Georg
- Auflagennummer (WdK): 6
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Schulanstalt, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
Luthers Einfluß auf die deutsche Literatur.
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§. 44. b) Kirchenlied. Wir haben bereits (Lehrb. §. 457.) erwähnt/wie das Anstim-
men eines neuen Kirchenliedes häufig das Signal zur Einführung der Reformation geworden.
Diese tiefe Bedeutung des religiösen Gesanges auf das Gemüth der Menschen erkannte
der mit poetischer Natur begabte deutsche Reformator sehr bald; er machte darum den
deutschen Kirchcngesang zu einem wesentlichen Bestandtheile des evangelischen Gottes-
dienstes und regte durch That und Wort die Abfassung geistlicher Lieder an. Er übersetzte
ältere lateinische Kirchengesänge, bearbeitete Psalmen und dichtete geistige Lieder, wobei
er den kühnen Schritt und den gedrungenen Ausdruck des mehr im Süden einheimischen
Volkslieds beibehielt und einfache, leicht faßliche Melodien theils selbst componirte,
theils den Hussiten entlehnte. Sein Beispiel und seine Anregung erweckte Nacheiferung.
Dichter und Sänger, hingerissen von dem gewaltigen Geiste der Zeit, widmeten ihre
Kräfte dem geistlichen Liede und bahnten dem Evangelium den Weg zum Volke, dessen
Gemüth und Phantasie durch die neuen religiösen Gesänge mächtig ergriffen ward. Wäh-
rend man auf Reichstagen und in Religionsgesprächen über die evangelische Kirchenlehre
stritt, führte das deutsche Kirchenlied mit seinen ernsten, einfachen Chorälen Tau-
sende dem Evangelium zu. In Kirche und Haus, im stillen Kämmerlein und auf der
lauten Gasse erschallten Psalmen und geistliche Lieder. Ein neuer Volksgesang, an kunst-
loser Form und einfachem Bau dem alten Volkslied verwandt, aber mit religiösem
Inhalt, in dem sich Zuversicht und heiteres Gottvertrauen aussprach, brach sich breite
Bahn. Das Kirchenlied weckte in dem Herzen des Volks religiöse Empfindung; es gab
der Stimmung und dem Gefühle Ausdruck, es riß die Menge zur Begeisterung hin.
Die ältesten und kräftigsten Lieder waren der Erguß einer augenblicklichen Empfin-
dung, einer herrschenden Stimmung; sie waren Gelegenheitsgedichte, in denen sich häufig
die kirchlichen und politischen Zustände der Zeit, die religiösen Meinungen, die geistigen
Kämpfe abspiegclten. In der Noth erflehen sie Hülfe vom Himmel; in Kummer und
Trübsal gewähren sie Trost durch Erweckung der Hoffnung und Zuversicht in Gott; im
Glück athmcn sie Gefühle des Dankes. Die ältesten Kirchenlieder ahmten in Ton und
Haltung, ja nicht selten auch in der Melodie Volkslieder der Zeit nach, z. B. „O
Welt ich muß dich lassen"; „Herzlich thut mich verlangen"; u. a. m.
Anfangs war die geistliche Dichtung vorzugsweise in den Händen der protestantischen
Geistlichen (Erasmus Alberus, st 1553; Paul Speratus: „Es ist das Heil
uns kommen her! "; Nie. Decius: „Allein Gott in der Höh sei Ehr! "; Mich. Weiß,
st 1540 , der die Hussitischcn Lieder übersetzte); als aber die religiösen Angelegenheiten so
vorherrschend wurden, daß sie alle anderen Interessen und Gefühle zurückdrängten, ver-
suchten sich Leute aus allen Ständen darin. Hatte dies einerseits die Wirkung, daß der
Volksgesang durch das Evangelium geheiligt und geläutert ward, so führte es auch an-
derseits eine massenhafte Vermehrung der geistlichen Lieder herbei, wodurch dann bald
eine Scheidung in eine gemüthlich weltliche und eine feierlich kirchliche Richtung eintrat.
Die eine, mehr weltliche Gattung, als deren Vertreter Nie. Hermann (st 1561), Cantor in
Jvachimsthal, und Rin gw aldt gelten können, lehnte sich an das Volkslied an und war mehr für das
Haus als die Kirche geeignet, indem sie in traulichem, einfachem Tone die Empfindungen des Menschen
bei den Wechselfällen des Lebens aussprach, sich allen Ständen anpaßte, auf alle Lagen einging; die
zweite, mehr feierliche und darum beim Gottesdienst angewendete Gattung schloß sich an die Psalmen
an und wurde vorzugsweise von Gelehrten gepflegt. Die schlichte und natürliche Uebertragung des ganzen
Psalter von Burk. W a l d i s wurde am Ende des Jahrhunderts durch die mehr kunstgerechte des Königs-
berger Lvbwasser verdrängt, der zuerst von der lutherischen Bibelsprache abging und den Uebergang zu
Opitz bildete.
Auch im 17. Jahrh. war das Religiöse noch so vorherrschend, daß das Kirchenlied
ein Hauptbestandtheil der Dichtkunst blieb; doch nahm dasselbe in Ton und Behandlungs-
art verschiedene Gestalten an. Paul Gerhard aus Sachsen, eine Zeitlang Prediger in ^aul^
Berlin, folgte Luthers Vorbilde und bewahrte in seinem frommen Gemüthe die Heiterkeit, 1606-76,
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