1. Bd. 2
- S. 55
1854 -
Leipzig
: Engelmann
- Autor: Weber, Georg
- Auflagennummer (WdK): 6
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrbuch
- Schultypen (WdK): Höhere Lehranstalten
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Höhere Schulanstalt, Selbstunterricht
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
Ueberschau und Vorblick.
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dramatischen Dichters Christ. Felix Weiße und viele ähnliche Produkte brachten ihren
Bersassern Ruhm und Gewinn.— Ein gleicher Eifer erwachte für volksfreundliche Schrift-
stellern und für die Belehrung des Landmanns, seitdem der wackere und verständige I. G.
Schlosser in seinem Katechismus der Sittenlehre für das Landvolk die
Bahn gebrochen und Fr. Eberh. v. Rochow seinem Beispiel gefolgt war. Doch verdient
nur Pestalozzi's erwähntes Volksbuch eine Auszeichnung wegen „dereinfalt und Schlicht-
heit, mit der es dem Volke seinen Gesichtskreis entlehnt und seine Denk- und Handlungs-
weise und die Freuden des häuslichen Herdes schildert, um es an sich selbst und innerhalb
seiner Sphäre fortzubilden." Wie nichtig nimmt sich dagegen Salzmann's Roman „Karl
von Karlsberg oder über das menschliche Elend" aus.
Z. 63. Philosophie. In der aufgeregten Zeit, wo der Geist sich bemühte, alle
seinen freien Flug hemmenden Fesseln abzustreifen, konnte sich die Leibnitz-Wolsische Schul-
philosophie (A. §. 53.) mit ihrem Formelkram nicht halten ; eben so wenig war das System
des gelehrten, trockenen und grübelnden Crusius zu Leipzig im Stande, die strebsame
Jugend zu fesseln; die Zeit der geschmacklosen, auf unerquicklichen Theorien und unver-
ständlichen Terminologien beruhenden Wcltweisheit schien vorüber und Männer von lite-
rarischer Bildung und ästhetischem Sinn, wie Moses Mendelssohn („Phädon oder
über die Unsterblichkeit der Seele"); Garve („Cicero von den Pflichten" u. a.); Abbt
(„vom Tode für's Vaterland") u. A. kleideten ihre philosophischen Betrachtungen in ge-
schmackvolle Form und in verständliche Sprache ohne dunkle Schulausdrücke. Selbst die
Lehrer der Philosophie aus Universitäten, wie I. Gg. Heinr. Feder in Göttingen , hul-
digten den Forderungen der Zeit und befleißigten sich in Vorlrag und Schrift einer faßli-
chen, geschmackvollen Darstellung. Dadurch gewann zwar die philosophische Wissenschaft
an Klarheit und formaler Ausbildung, aber Gehalt, Gründlichkeit und Tiefe verschwan-
den. Ein oberflächlicher Eklekticism us , vom flachen Dilettantismus nicht viel ver-
schieden, gab sich für ächte Weltweisheit aus. Da wurde Immanuel Kant in Königs- 1724—
berg der Schöpfer eines neuen philosophischen Systems, das, Anfangs 1804-
wegen seiner Schwierigkeit wenig beachtet, bald eine gänzliche Umgestaltung aller Wissen-
schaften zur Folge hatte. In seinen Schriften, unter denen seine drei Hauptwerke: Kri-
tik der reinen Vernunft, Kritik der praktischen Vernunft, und Kritik
der Ur th e ils kraft als Grundpfeiler emporragen, bestimmte er genau die Beschaffen-
heit und nothwendigen Grenzen des menschlichen Erkenntnißvermögens, stellte die Moral
als wesentliche Grundlage aller vernünftigen Religion auf und gab der Rcchtslehre und
Aesthetik einen festen, einfachen Boden. Hatte Anfangs die Kant'schc Philosophie zu we-
nig Anerkennung gefunden, so erlebte sie bald das Gegentheil. Sie fand Eingang in alle
Wissenschaften und Literaturzweige, in die Poesie und ins Leben; sic bewirkte eine gänz-
liche Reform der Philosophie und bahnte den Weg zu der freien theologischen Richtung,
die man seitdem mit dem Namen Rationalismus (Denkgläubigkeit) belegte,
und die Heftigkeit, womit Fähige und Unfähige als Verfechter oder Gegner der neuen
Weisheit zum Kamps auszogen, gab Zeugniß von dem mächtigen Eindruck, den seine Grund-
sätze auf alle Gebildeten hervorgebracht. Zur Verbreitung der neuen Philosophie trug Wie-
lands Schwiegersohn, der aus dem Jesuitenorden ausgeschiedene und zum Protestantis-
mus übergetretcne Philosoph Reinhold, welcher im „deutschen Merkur" Briefe über
die Kant'schc Philosophie veröffentlichte und in Jena vielbesuchte Vorlesungen darüber
hielt, nicht wenig bei. — Kant's großer, scharfsinniger Schüler, Fichte, ein muthvoller, rtickue
charakterfester Mann von ächt deutscher Gesinnung, nahm einen kühnen Flug, indem er isut
von dem Kant'schen Kriticismus zu dem reinen Id eal is m u s überging, in seiner „Wis-
senschaftslehre" das Ich als das Erste und Ursprüngliche setzte und in seinem „System der
Sittenlehre" Freiheit und Selbstthätigkeit als Ziel des sittlichen Strcbens hinftelltc. —
An Fichte's Grundsätze knüpfte sein Jünger und Nachfolger, Schelling, seine, auf einer