1859 -
Lübeck
: Rohden
- Autor: Rohden, Ludwig
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium, Realschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Evangelisches Gymnasium, Realschule
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
474 Xxii. §. 15. Innerer Verfall des Papstthums.
und Aberglauben war Thor und Thür geöffnet, und die „frommen
Erfindungen" nahmen kein Ende. Der Gottesdienst wurde all-
malig zum leeren Gepränge eines priesterlichen Opferdienstes. In
unerhörter Weise wurden die Messen vervielfältigt und in den Augen
des Volkes gehoben, damit die Priester desto größer» Gewinn davon
hätten. Noch reichern Ertrag brachte die neue Erfindung der Ab-
laßzettel, wonach man für beliebige Preise eine beliebige Anzahl Sün-
den bezahlen und eine größere oder kleinere Quantität der Höllen-
strafen abkaufen konnte. Die gelehrten Theologen jener Zeit, die
Scholastiker, wußten jede noch so widersinnige Behauptung der Kirche
durch Vernunftbeweise zu begründen und verstiegen sich in die unbe-
greiflichsten Behauptungen. Die Lehre vom Fegfeuer, vom Schatz der
guten Werke, über welchen die Kirche zu disponiren habe, vom Blute
Christi, welches in der Hostie oder dem verwandelten Leibe Christi
mit enthalten sei, so daß der Kelch beim Abendmahl nicht vertheilt
werden dürfe; die Lehre von der unbefleckten Empfängniß Mariä
und ihrer mütterlichen Gewalt über den Herrn Jesus im Himmel,
die Lehre von der Unfehlbarkeit der Kirche, von der Heiligkeit des
kirchlichen Amtes trotz aller sittlichen Gemeinheit der priesterlichen
Personen, die Lehre, daß die bedingungslose Unterwerfung unter die
Gebote und Entscheidungen der Kirche der alleinige Weg sei, um in
den Himmel zu kommen — wozu konnte dergleichen anders dienen,
als zur Verwirrung der Gemüther und zur Entsittlichung der unwis-
senden Menge? .Woher hätten die richtigeren Begriffe, woher bi-
blische Klarheit und Erkenntniß ihnen kommen sollen? Die Predigt
war so gut wie ausgestorben. Die meisten Pfarrer konnten nicht ein-
mal predigen; und wo sie es noch thaten, da tischten sie ihren Zu-
hörern die elendesten Fabeln auf, erzählten die widersinnigsten Legen-
den und Wundergeschichten; oder wo sich etwa noch ein Rest schola-
stischer Gelehrsamkeit bei ihnen vorfand, da verstiegen sie sich zum
Theil in die unfruchtbarsten Probleme und unverständlichsten Lehrsätze,
von denen weder sie selbst noch das Volk einen Eindruck auf das Herz
gewinnen konnten. Sah aber die Gemeinde auf das Leben seiner
Geistlichen, so erblickte sie mit geringen Ausnahmen einen großen
über die ganze Kirche ausgebreiteten Sündenpfuhl. Das unselige
Cölibatsgesetz hatte die Unzucht in allen ihren Formen zu einer ver-
meintlichen Nothwendigkeit gemacht. Die Kleriker suchten ihre Wol-
lustsünden nicht einmal mehr zu verbergen, sie waren die schlimmsten
Verführer ihrer weiblichen Gemeindeglieder. Auch die Klöster, so-
wohl Mönchs- als Nonnenklöster, waren anerkanntermaßen die Haupt-