1859 -
Lübeck
: Rohden
- Autor: Rohden, Ludwig
- Hrsg.: ,
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lehrerbuch
- Schultypen (WdK): Gymnasium, Realschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Höhere Lehranstalten
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Schulformen (OPAC): Evangelisches Gymnasium, Realschule
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Jungen
- Konfession (WdK): Evangelisch-Lutherisch
Xxv. §. 13. Nordamerikanische Zustände. 659
Wo der König zwar auf dem Throne sitzen, aber nicht selbst regieren
darf wie in England, da kann sich keine Liebe der Unterthanen zu ihrem
Königshause erzeugen, welche auch über's Meer hin ein unzerreißbares
Band bliebe; am wenigsten wenn dieerinncrung an die Verfolgungen dazu
kommt, durch welche die Vater einstmals aus England vertrieben wurden.
Den wechselnden englischen Ministern gegenüber und der Majorität
des Parlaments fühlten die Nordamerikaner keinerlei Verpflichtung.
Sie meinten genug tüchtige und wohlbefähigte Männer in ihren eig-
nen Reihen zu haben, welche ihre Angelegenheiten in nächster Nähe
besser zu leiten im Stande wären, als von jenseit des Meeres her.
Es mochte den wenigsten Ansiedlern zum Bewußtsein kommen, daß sie
Hochverrath und Treubruch übten, da sie 1773 gegen die englischen
Auflagen und Zollmaßregeln sich empörten und mit den Waffen in
der Hand ihre Unabhängigkeit und Lostrennung von England durch-
setzten. Der sogenannte nordamerikanische Freiheitökampf (1775 bis
1783) ist freilich durch keinerlei Großthaten oder Patriotismus, we-
der von der einen noch von der andern Seite ausgezeichnet, und der
Ruhm Washington's gründet sich fürwahr nicht auf glänzende Siege
und wunderbare Erfolge, sondern höchstens auf sein geduldiges und
zähes Ausharren zwischen der Verkehrtheit und Widerwilligfeit seiner
Landsleute und der ungeschickten Kriegführung der Engländer. Aber
dadurch ist die Losreißung der Amerikaner wichtig für Europa ge-
worden, daß die nunmehr zur Selbständigkeit gelangten Ansiedler ihre
neuen republikanischen Einrichtungen als die Summe aller politischen
Weisheit ausschrieen und den leichtgläubigen veränderungssüchtigen
Europäern, die ihnen in ihrem Freiheitskamps zu Hülfe kamen, beson-
ders den Franzosen das Märchen von den allgemeinen Menschenrechten,
von der Freiheit und Gleichheit aufhefteten, welches sich in den unge-
messenen Räumen Amerika's, wo Jeder dem Andern aus dem Wege
gehen konnte, wohl hier und da einigermaßen verwirklichen ließ, in
den dichtbevölkerten monarchischen Ländern Europa's aber nur als
ein thörichtes Hirngespinnst erscheint.
So begannen denn nun seit 1776, dem Jahr ihrer Unabhängig-
keitserklärung, die dreizehn vereinigten Staaten von Nordamerika mit
ihrem Congreß und ihrem alle vier Jahre wechselnden Präsidenten
an der Spitze ihren neuen vielbewunderten Entwickelungögang, und
haben sich in den noch nicht hundert Jahren ihres Bestehens in einer
so überraschenden Weise ausgedehnt, daß sie sich selbst gern einem
Riesensohn vergleichen, dessen Kräfte von Jahr zu Jahr und bis in's
Ungeheure wachsen. Von den atlantischen Küsten aus, wo sie zuerst
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