1. Bd. 2
- S. 75
1844 -
Leipzig
: Kollmann
- Autor: Fortmann, Heinrich
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
nach Hülfe. Doch vergebens; Niemand eilt zum Schutze ihrer
Söhne herbei. Nichts bleibt ihr übrig, als dem Räuber, in
welchem sie an der Stimme Kaufungen erkennt, zuzurufen,
daß er der Prinzen schonen möge, sie selbst wolle sich dafür sei-
ner beim Churfürsten annehmen, und er solle Alles erhalten, was
er verlange. Gelaffen antwortete Kaufungen, sie könne ruhig seyn,
es solle ihnen kein Haar gekrümmt werden, und setzte bitter hin-
zu: „Hätte man mich auf andern Wegen mein Recht finden
lassen, es wäre dahin nicht gekommen!" ordnete hierauf kaltblü-
tig Alles an, seine Beute in Sicherheit zu bringen, und eilte
dann spornstreichs mit ihr davon. —
Um, im Falle sie würden angehalten werden, nicht beide
Prinzen zugleich wieder zu verlieren, übergab Kunz den älteren,
Ernst,") den Rittern Mosen und Schönfels, ihn unter Beglei-
tung einer Anzahl Bewaffneter, auf einem schon früher verab-
redeten Wege nach Böhmen zu bringen. Er selbst wählte für
sich den Prinzen Albert, einen feurigen und klugen Knaben, von
dem, da er zugleich mehr körperliche Stärke und Gewandtheit,
als sein älterer Bruder besaß, leichter zu befürchten war, daß
es seiner List und Behendigkeit gelingen möchte, zu entwischen,
und wendete sich, begleitet von Schweinitz und einigen Reisigen,
mit ihm links hinüber nach den Waldhöhen von Rabenstein.
Ueber Berg und Thal ging der rasende Ritt durch die Nacht,
in der man kaum die Bäume, geschweige denn einen Weg sehen
konnte. Kunz, der Gegend ziemlich kundig, jagte voran, Schweinitz
und ein anderer Knappe hatten des Prinzen Rappen in der Mitte,
jeder einen Zügel an der Hand. Aber in dem unwegsamen Walde
stürzten ihnen mit jedem Augenblicke die Pferde; Bäume und
Gesträuch ndthigten sie oft, sich zu trennen; der Prinz, nur leicht
bekleidet und die Einwirkung der Nässe und des Schreckens er-
duldend, jammerte; das ungewohnte, heftige Reiten und der
Gedanke an seine trostlose Mutter brachten ihn zu Thräncn.
Nichts jedoch konnte den ungestümen Lauf der Rosse hemmen;
immer rascher, je mehr die Dunkelheit wich, jagten die Davon-
eilenden nach Süden, jene Ungeheuern Waldungen entlang, welche,
damals noch nicht durchbrochen, sich einander die Hände reichten,
und setzten bei der Burg Kaufungen durch die Mulde.
*) Ernst war damals vierzehn, Albrecht dagegen noch nicht völlig zwölf
Jahre alt.