1. Bd. 2
- S. 250
1844 -
Leipzig
: Kollmann
- Autor: Fortmann, Heinrich
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
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Gewalt des Giftes. Sogleich entstand eine allgemeine Verwir-
rung, ein Geschrei und Getöse in dem erleuchteten Saale; der
ganzen Gesellschaft bemeisterte stch ein Schrecken, weil Jeder in
den konvulsivischen Bewegungen der beiden Bösewichte sein eige-
nes, bald erfolgendes Schicksal zu sehen glaubte, und Niemand
zweifelte, daß sie alle vergiftet seycn. Endlich brachte man den
Papst und den Herzog nach ihren Zimmern im Vaticane, und Beide
sahen sich nicht wieder. Keine Kunst der Aerzte konnte den Papst
retten. Acht Tage hindurch mußte er die unsäglichsten Schmer-
zen leiden, wonach er unter den grausamsten O.ualen seinen Geist
aufgab (18. August 1508). Das war das Ende Alexanders Vi.,
eines Mannes, der, nach dem Ausdrucke eines neueren Geschicht-
schreibers „der Scandal der Christenheit, der Nero der Päpste"
war.
Der Herzog von Valcntinois starb nicht an dem vergifteten
Tranke; seine kräftige Natur überwand die Gewalt desselben.
Jndcß zeigt seine Rettung doch auch von der großen Geschicklich-
keit seiner Aerzte, da seine Eingeweide durchaus schon von dem
Gifte verbrannt waren. So, unter andern, legten sic ihn wie-
derholt in den Leib frischgeschlachtcter Stiere oder Maulesel; dann
mußte er auch lange Zeit in einem großen Gefäße zubringcn, wo
man beständig frisches Wasser über ihn goß, bis stückweise sich
die Haut von seinem ganzen Leibe trennte. — Er fand später
seinen Tod in einem Treffen bei Viana (1507).
Das Ende Bajazets betreffend, so wollte dieser, nach einer
zweiunddreißigjährigen Regierung, dem Throne zu Gunsten seines
ältesten Sohnes Achmet entsagen und ließ deshalb zwei andere
von seinen Kindern ermorden. Allein das Heer zog einen vierten
Sohn, Namens Selim, den jüngsten von den Brüdern, vor.
Durch diese öffentliche Gunstbezeigung kühn gemacht, hebt dieser
eine Armee aus und zieht gegen seinen Vater. Anfangs zwar
wird er geschlagen, die Ianilscharen aber ermuthigcn ihn, neue
Anstrengungen zu machen, unter dem Versprechen, sich zu ihm
schlagen zu wollen. Hierauf trifft Selim an der Spitze eines
Heeres europäischer Truppen vor Constantinopel ein, und Baja-
zet erblickt auf einmal seinen Sohn, das Volk und die Ariuce
gegen sich. Da der Sccptcr schon lange Zeit seiner Trägheit
zuwider und er immer schon auf die Niederlegung desselben bedacht
gewesen, so ist er sogleich erbötig, sich nach Adrianopcl zurück-