1. Bd. 2
- S. 384
1844 -
Leipzig
: Kollmann
- Autor: Fortmann, Heinrich
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
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königlichen Pracht zu umgeben. Er crbauete Paläste, dergleichen
der König selbst nicht hatte. Er war der erste Geistliche in Eng-
land, der seidene und goldene Stoffe trug, und nicht bloß seine
eigenen Kleider, sondern auch die Livreen seiner Diener, sowie
die Decken seiner Pferde schimmerten in dieser Pracht. Oft erschien
er mit einem Gefolge von achthundert Personen, unter denen eine
Menge Edelleute waren, die seine Gunst durch solche Demüthi-
gungen erkaufen wollten. Vor ihm her gingen zwei schön gewach-
sene und reich gekleidete Priester, wovon der eine ihm das Car-
dinalskreuz vortrug, der andere das Kreuz des Erzbisthums chork
hielt. Wenn er an Festtagen in der Paulskirche Messe las, so
bedienten ihn Bischöfe und Aebte, und bei dem Sprengen des
Weihwassers mußten ihm Personen vom höchsten Adel Wasser
und Handtuch reichen — ganz nach der Weise des Papstes, zu des-
sen Würde er bald empor zu steigen hoffte. Selbst fremde Für-
sten, besonders Franz I., König von Frankreich, und Karl V.
buhlten um seine Gunst, und durch die Pensionen, welche sie
ihm bezahlten, stiegen seine jährlichen Einkünfte so hoch, wie die
des Königs.
Da Heinrich keine Sache von Wichtigkeit unternahm, an der
Wolsey nicht persönlich Theil genommen hätte, so war er auch
sein Begleiter bei einer Zusammenkunft mit Franz I., welche im
Juni 1520 zwischen Andres und Guiñes in der Picardie,
nahe am Kanäle, statt fand und den Zweck hatte, das Freund-
schaftsband zwischen beiden Monarchen enger zu knüpfen. Diese
Zusammenkunft war ein Schauspiel, wovon man zu jener Zeit
noch seines Gleichen nicht gesehen hatte. Das Betragen der
Könige gegen einander, die Größe ihres Gefolges, eine Pracht,
welche gar keinen Wetteifer zulicß, Feste, die gleichsam für alle
Nationen angestellt zu seyn schienen, gaben ihm ein Interesse,
was weit über seinen Schauplatz und die handelnden Personen
hinausging.
Die ganze Ebene zwischen Andres und Guiñes war mit einer
Menge kostbarer Zelte bedeckt, die ein doppeltes Lager bildeten.
In der Mitte desselben kamen die beiden Monarchen mit ihrem
ganzen prächtigen Gefolge zusammen, sich nach ritterlicher Sitte
zu begrüßen. Indem sich Beide zu Pferde umarmten, stolperte
das Pferd des Königs von England, was der Aberglaube für
eine böse Andeutung erklärte; noch mehr Bedenkliches aber fand