1. Bd. 2
- S. 390
1844 -
Leipzig
: Kollmann
- Autor: Fortmann, Heinrich
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
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Tagen zu der Königin und redete dieser mit ebenso viel Beredt-
famfcit und Salbung zu, sich der Scheidung freiwillig zu unter-
werfen, Auch hier, wie er erwartet hatte, mit Entschlossenheit
zurückgewicsen, erklärte er nun, daß seine Instruction zu Ende
fty. Heinrich, höchst aufgebracht über dieses seltsame Verfahren,
welches seiner Erwartung so ganz entgegen war, ließ den Lega-
ten mit harten Worten an. Allein sein Ungestüm war vergebens;
er mußte sich bequemen, so lange zu warten, bis neue Vcrhal-
tungsbcfehle von Nom ein treffen würden. Da aber der Papst
mit Ertheilung derselben abermals ungebührlich lange zögerte,
so ließ er ihm durch seinen Gesandten in starken Ausdrücken zu
erkennen geben, wie sehr er sich beleidigt fühle, daß Se. Heilig-
keit eine dem Könige so nahe liegende Angelegenheit nicht beendige,
und ihn von Ferne ahnen, wie er bei der jetzigen Stimmung der
Nation Gefahr laufe, allen Einstuß auf England zu verlieren; in
welchem Falle der König auf einem leichteren Wege zu seinem
Ziele gelangen würde.
Durch solche Drohung erschreckt, sendete nun Clemens einen
Botschafter an den Londoner Hof, durch welchen er dem Könige
seine Zustimmung, die Sache vor einem förmlichen Lcgatengcrichte
untersuchen zu lassen, kund that und wobei er zugleich den beiden
Cardinalcg die dazu benöthigten Instructionen einhändigen ließ.
— Heinrich sah ein, daß dies der einzige Weg scy, den er
vor der Hand einschlagcn könne, und ließ sofort die Anstalten
zur Eröffnung des Gerichtes treffen.
Nicht leicht ist wohl einer öffentlichen Verhandlung dieser
Art mit mehr Theilnahme entgegen gesehen worden. Nicht nur
die ganze englische Nation war von der unruhigsten, durch langes
Harren und öftere Täuschung auf's Höchste gespannten Erwartung
ergriffen, sondern ein Gleiches war fast über das gcsammte Europa
verbreitet, indem die Sonderbarkeit dieser Erscheinung sie für
Alle zu einer gemeinschaftlichen Angelegenheit machte. Der 31.
Maj des Jahres 1529 war der Tag, an welchem dieses merk-
würdige Gericht im Parlamcntssaale des Augustiner-Klosters in
London gehalten wurde. Die hohe Geistlichkeit und die Mitglie-
der des geheimen Raths, nebst einer großen Anzahl des alten
Adels waren als Beisitzer zugegen, und eine zahllose Menge Volks
drängte sich vor den Thüren und ging truppweise unruhig auf
km Gassen umher. Der König erschien in einem prächtigen Auf-