1. Bd. 6
- S. 559
1845 -
Leipzig
: Kollmann
- Autor: Fortmann, Heinrich
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
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ren die Verhältnisse schon ganz tumultuarisch, und nur mit Be-
hutsamkeit und in Verkleidung hatte er die Hauptstadt erreichen
können. Oeffentlich durfte er sich nicht zeigen. Er blieb auch
nur einige Augenblicke in dem Palaste, wo er einst der angebe-
tete Monarch gewesen war, und wählte das Haus eines seiner
Getreuen zu seinem Aufenthalte. Verkleidet verließ er am 21.
Neapel und schiffte sich auf der Insel Ni si da, die er glücklich
gewann, nach Frankreich ein. — Unterdeß eilten die Oesterreicher
herbei, die Hauptstadt zu besetzen; die Armee Mural's, die un-
ter den Mauern von Neapel noch 16,000 Mann zählte, löste
stch auf, und eine (Kapitulation, die zwischen dem österreichischen
Feldherrn Bianchi und dem neapolitanischen General Coletta
geschlossen ward, übergab auch die Festungen mit der Haupt-
stadt dem Sieger. Murat's Gemahlin suchte bei der Annäherung
der Oesterreicher mit ihren Kindern und mit den großen Schätzen,
welche Murat als gute Beute seiner vielen Siege ihr anvertraut
und zurückgelaffcn hatte, das Meer zu gewinnen. Der englische
Oberst Campbell — derselbe, der vor Elba lag und Napoleon
von dort hatte entschlüpfen lassen — nahm sie mit ihrem nicht ge-
ringen Gefolge an Bord, um sie nach Toulon zu bringen.
Der Oberbefehlshaber der englischen Flotte, Lord Exmouth,
gab jedoch die Fahrt nach Toulon nicht zu, und zufolge einer
neuen Uebercinkunft ward Madame Murat in Triest ausge-
schifft, von wo sie sich späterhin nach Ha im bürg, einem ge-
schmackvollen Schlosse unfern Wien, mit ihren Neichthümern
und ihrem glänzenden Gefolge begab; sie miethete das Schloß
für jährlich 36,000 Gulden, und dieser Miethzins läßt berechnen,
welche Beute sie aus Neapel mitgebracht haben mußte. — Zu
Anfang des Juni erschien König Ferdinand Iv. wieder und
nahm sein Königreich aus den Händen derer, die es erobert hat-
ten, gegen Ersatz der Kriegskostcn, in Empfang.
Murat, der in seiner Verkleidung mit falschen Pässen in
Frankreich angekommen war, ward daselbst kalt ausgenommen
und erhielt anfänglich nicht die Erlaubniß, nach Paris zu kom-
men. Napoleon äußerte sich über ihn und die Ereignisse in
Neapel mit den Worten; „c'esi le sori d’uii traitrc!“ (das
ist das Schicksal eines Verräthers.) Es hielt schwer, che Mu-
rat, der im strengen Incognito in der Nähe von Fontainebleau
sich aufhielt, eine Aussöhnung mit Napoleon sich auswirken