1. Bd. 7
- S. 74
1845 -
Leipzig
: Kollmann
- Autor: Fortmann, Heinrich
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
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Alle seine anderweitigen Eroberungen waren jedoch nicht im
Stande, seinen Durst nach Rache gegen die unbezwinglichen Sulio-
ten zu ersticken. Nachdem er sich noch in den Besitz einiger an-
derer Provinzen gesetzt hatte, scheuete er nun die Pforte selbst nicht
mehr, erklarte laut seine Absicht, für sich allein regieren zu wollen
(1799), und rief ganz Albanien in die Waffen gegen die ver-
haßten Sulioten. Diese, obgleich nicht zum Kampfe gerüstet, schlu-
gen dennoch Ali's Uebersall mit gewohnter Tapferkeit zurück. Nun
begann dieser die denkwürdige Belagerung der suliotischen Berge.
Mit zwölf Festungen, die er an den Hauptausgangen derselben
errichten ließ, schloß er die tapfern Griechen ein und glaubte sie
nun unter ihren Felsen auszuhungern. Wirklich erreichte die Hun-
gersnoth in der kleinen Republik eine erschreckende Höhe; allein
ein glücklicher Ausfall von sechshundert Sulioten nach Parga
zu verschaffte den Bedrängten Lebensmittel und Kriegsbedürfnisse.
Zehn Monate hatte diese Belagerung bereits gedauert, als der
Ungehorsam des Pascha von Adrianopel die Belagerten vom
Hungertode befreite. Ali Pascha zog gegen jenen, und die Sulio-
ten benutzten die dadurch gewonnene Muße trefflich zu neuer
Kriegsrüstung; als Ali am Schlüsse des Jahres 1801 wieder vor
ihren Bergen erschien, waren sie auf das Aeußerste vorbereitet,
und die Söldner des Tyrannen wurden abermals zurückgeschla-
gen. Zweitaufend Türken waren bereits in dem neuen Feldzuge
geblieben, allein Ali lagerte noch immer mit 18,Vw Mann vor
Suli; mit diesen grub er den Belagerten die Quellen ab, worauf
die Roth an mehreren festen Punkten den höchsten Grad erreichte.
Was die Gewalt der Waffen nie vollbracht haben würde, gelang
dem Hunger: man verlangte zu capituliren; die Schaaren trenn-
ten sich, um ihre heimathlichen Berge zu verlassen. Einzeln wurden
sie nun von den verratherischen Türken überfallen und nach Übermensch-
lichen Kämpfen überwunden und vernichtet. *) Nur einige Trümmer
*) Hundert Weiber hatten sich mit einem Haufen Kinder auf einen steilen
Felsen geflüchtet, den sie mit der größten Anstrengung erklettert hatten,
und von dessen Höhen sie Augenzeugen des schrecklichen Schicksals ihrer
Gefährten wurden. Als sie sahen, wie die barbarischen Muhamedaner
Anstalt machten, auch ihnen ein Gleiches widerfahren zu lassen, so fas-
scn sie schnell einen Entschluß, um der ihnen zugedachten Schande zu
entgehen. Sie nehmen sich bei den Händen, beginnen einen Tanz, und
begleiten ihn mit patriotischen Gesängen. Bei der Annäherung der Tür-
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