1. Bd. 4
- S. 454
1845 -
Leipzig
: Kollmann
- Autor: Fortmann, Heinrich
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schulbuchtyp (WdK): Lesebuch
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
454 —
Eugenio von Savoy. — Er gehörte zu den seltenen Men-
schen, die große Eigenschaften ohne große Fehler besitzen; auf
dem geraden einfachen Wege des Verdienstes gelangte er zum
Tempel des Ruhms. — Ec war der jüngste von fünf Söhnen
des Titulargrafcn von Soisson, aus einer Seitenlinie des
savoyischen Fürstenhauses, der als Statthalter der Champagne
in französischen Diensten stand. Wegen seines schwächlichen Kör-
pers ward der kleine Eugen (gcb. zu Paris den 18. Oct. 1663)
zum geistlichen Stande bestimmt, lernte auch früh und mit groß-
ßem Eifer Griechisch und Latein und ward schon im Scherze von
Ludwig Xiv., der ihn zuweilen sah, „der kleine Abbe" ge-
nannt. Aber mit jedem Jahre ward ihm die Theologie mehr zu-
wider und von allen Büchern, die ihm gegeben wurden, las er
keine lieber, als die alten Geschichtschreiber, besonders solche,
welche die Kricgöthaten großer Helden beschrieben. Noch uner-
wachscn verlor er seinen Vater; seine Mutter, Olympia Man-
cini, Nichte des Cardinals Mazarin, hatte auf die Gelieb-
te des Königs, Vali ere, eine Satyre gemacht, ward deshalb
aus dem Reiche verbannt und nahm ihren Aufenthalt in den
Niederlanden. Ihre älteren Söhne hatten bereits Regimenter.
Auch Eugen erbat sich ein Dragonerregiment; der König aber,
der ihn wegen seiner Kleinheit verachtete, fand den Einfall wun-
derlich und empfahl ihm, im geistlichen Stande zu bleiben. „Ich
werde also einem fremden Monarchen dienen — sagte Eugen auf-
gebracht zu seinen Freunden — und Frankreichs Boden nicht
wieder betreten, als mit dem Degen in der Faust."
Die Zeit führte bald eine Begebenheit herbei, die dem mu-
thigcn Jünglinge Gelegenheit verschaffte, seinen Licblingswunsch
zu befriedigen. Ec war im zwanzigsten Jahre, als die Nach-
richt von dem neuausgebrochcncn Türkenkricge erscholl (168 7).
Mehre mißvergnügte Offiziere benutzten den damals geltenden
Grundsatz, daß man selbst dem Feinde gegen die Ungläubigen
beistehen müsse, und baten um Erlaubniß, nach Wien gehen zu
dürfen. Unter ihnen befand sich auch Eugen und einer seiner
Brüder. Je kalter Ludwig die Ritter entließ, desto freudiger
empfing sie der Kaiser Leopold. Sie wurden nach Raab in
Ungarn geschickt. Eugen, glücklicher als sein Bruder, den sein
Pferd erschlug, lernte den Dienst mit Ernst und Eifer, und gab
schon bei dem berühmten Entsätze von Wien Proben von großer