1839 -
Stuttgart
: Literatur-Comptoir
- Autor: Böttiger, Carl Wilhelm
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
Nov. 1231 und wurde vier Jahre später auch wegen der Wunder, welche an ihrem
Grabe geschahen, canonisirt: ein seltnes Bild der höchsten Selbstverleugnung, uni
so glänzender und Heller, als cs auf dein schwarzen Grund einer schweren, gewalt-
thätigen Zeit erscheint.
An jenes Konrad von Marburg Namen aber knüpft sich auch ein Versuch Gre-
gors (der schon 1230 die deutschen Fürsten von ihrem Kaiser abwendig zu machen
suchte), die schreckliche Inquisition, dieß Todtcngcricht aller Geistcsfrciheit, auch in
Deutschland einzubürgern. Und was hieß nicht Alles Ketzerei? Freilich gab's auch
Menschen in Deutschland, die vom strengen Lehrbcgriff — und wo war dieser für
die Menge fcstgestellt? — sich hier und da entfernten, welche endlich unter den
Foltern der Kirche sich zum Scheußlichsten bekannten. Schon begannen Auto's da
Fe (Acte des Glaubens) und Scheiterhaufen ihre schreckliche Arbeit an dem Rhein,
in Thüringen, anfangs nur mit geringen Leuten. Man ließ die Wahl zwischen
Bekenntniß und schwerer Buße oder dem Abschwören und Verbrennen. Da ver-
klagte vor solchem Ketzergerichte Konrads nicht selten das Weib den Mann, der
Knecht den Herrn, der Bruder den Bruder; er wagte sich auch an Vornehmere.
Aber die Erzbischöfe von Mainz, Trier und Cöln, dann selbst die in andern Län-
dern mit Aufspürung der Ketzer beauftragten Dominicaner (sinnreich zeigte ihr Sie-
gel einen Hund, der eine brennende Fackel in der Schnauze trug, als wären sie die
canes domini) traten gegen Konrad auf. Ein Graf von Sapn, schon angcklagt
und zu schimpflicher Buße des Bartabschecrens verdammt, wurde aus den Reichs-
tagen zu Mainz und Frankfurt freigcsprochcn, und vom Papst die Aufhebung der
Vollmacht dieses Ketzerrichters verlangt. Ehe diese aber eintraf, war Konrad am
10. Juli 1233 bereits durch den Stahl der Rache gefallen. Da stand der Papst in
Deutschland davon ab, und gewiß hat diese eine Leiche tausend andere erspart und
Deutschlands geistige Entwicklung gerettet!
Dem jungen König war jede Beschränkung, jeder Rathgeber verhaßt. Ludwig
von Baiern, der ihm als solcher bisher treu zur Seite gestanden hatte, zog sich,
als er des Sohnes gefährliche Plane ahnete, zurück und fiel 1231 durch einen
Wahnsinnigen oder Narren, und mit seinem Sohn Otto fing Heinrich Fehde an.
Um ganz mit seinem Vater brechen zu können, suchte Heinrich sich die Neigung der
deutschen Stände zu erkaufen. Auf einem Reichstage zu Worms 1231 wurde zu
Gunsten der Fürsten gegen die Städte festgesetzt, daß die Fürstcnstädte (ein Gegen-
satz der Reichsstädte) nicht aus eigener Macht Innungen und Gilden errichten, daß
in neuen Reichsstädten die Bannmeilen Wegfällen sollten. Jeder Fürst möge seine
Freiheiten, Gerichtsbarkeiten, Grafschaften, Centcn, sie seien frei oder Lehen, un-
gestört genießen (damit war die Landeshoheit der Fürsten ausgesprochen!), der
König werde in keines Fürsten Land eine neue Münze zu dessen Nachtheil schlagen
lassen und lasse ihnen das Geleitsrccht ungeschmälert. Die Reichsstädte dürfen
ihre Gerichtsbarkeit nicht über ihr Gebiet ausdehncn, Lchngüter sollen ohne Bewil-
ligung des Lehnherrn nicht verpfändet werden u. s. w. — Der Kaiser, weit ent-
fernt, diesevelchlüsse umzustoßcn, bestätigte sie 1232 von Italien aus feierlich durch
besondere Bestätigungsbricfe und sprach den Grundsatz aus, daß Freiheiten, welche
des Reiches Fürsten von der kaiserlichen Gnade erhalten haben, sich immer der
weitesten Deutung erfreuen sollen: daher sollen auch alle ohne Beistimmung der
Erzbischöfe und Bischöfe erwählte Bürgermeister, Stadträthe und ähnliche Ver-
walter wegfallen, und alle Briefe, welche die Städte darüber erhalten haben möch-
ten, nichtig und kraftlos sein. Fürwahr, einer solchen Ungerechtigkeit gegen die
Städte, die sich doch schon als Stützen kaiserlicher Macht in Deutschland erwiesen
hatten, hätte sich auch in solcher Lage und im Streit mit den lombardischen Städ-
ten ein Friedrich nicht schuldig machen sollen!