1839 -
Stuttgart
: Literatur-Comptoir
- Autor: Böttiger, Carl Wilhelm
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
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Adels, der dadurch und durch die Beschränkung der Geistlichkeit überhaupt, eine
übermächtige Aristokratie bildete, die sich in den schweren Wahlcapitulationen der
Könige zeigte. In Island huldigten alle Einwohner 1551 der Reformation,
unv die wichtigsten der nordamericanischen Colonien gingen später von Anhängern
der neuen Lehre in England aus.
Man hat der Reformation den Vorwurf gemacht, daß sie durch Aufhebung so
vieler Klöster und Stifter und damit zusammenhängender Schulen der Erziehung
und gelehrten Bildung und damit der Pflege der Wissenschaften Eintrag gethan
habe. Manchen dieser Klöster, besonders den Benediktinern, verdankte die Gelehr-
samkeit viel; manches erhielt unschätzbare Classiker der Nachwelt. Auch mag sich
in der That, jedoch nur auf kurze Zeit, eine solche Lücke gezeigt haben. Aber bald
wetteiferten die Fürsten, wie die Städte, dem Mangel abzuhelfen. Herzog Moriz
von Sachsen errichtete aus geistlichen Gütern die tüchtigen Landesschulcn Grimma
und Meißen und die berühmteste von allen in der porta coeli oder dem Cister-
cienserkloster Pforte. In Breslau, der protestantischen Stadt, blühten zeitig die
Elisabethen- und Magdalcnenschulc, und sein Goldberg brachte Valentin Fricdland
von Troßcndorf als Rector über alle schlesische Schulen. Nürnberg hob mit
Hülfe Melanchthons seine Schulen von St. Lorenz und Sebald, so wie die heut
noch trefflich blühende zu St. Acgidien; Camerarius, Cobanus Hesse u. A.
glänzten da selbst. Wie gern half da Herr Lazarus Spengler, der Rathsherr!
So entstand eine Mnsterschule zu Ilfeld 1550 durch Michael Neander aus Sorau.
Freilich hätte Schul- und Unterrichtswesen ganz vom Einfluß der allgewaltigen
Geistlichkeit befreiet und zur Selbstständigkeit erhoben werden sollen. Doch das
war gerade damals ganz unmöglich! Dagegen stellten sich im katholischen Deutsch-
land den Jesuitenschulen sehr rühmlich eine Anzahl Benedictincrschulen in den
Abteien dieses Ordens entgegen. Sie unterschieden sich von jenen durch ernsteres
Betreiben der alten elastischen Literatur, durch entschiedene Vorliebe für Physik
und nahmen auch Geschichte, Geographie und Mathematik noch in den Lehrkreis
auf. — Auch entstanden noch im 16ten Jahrhundert außer Wittenberg und Frankfurt
die Hochschulen zu Marburg (1527), Königsberg (1544), Dillingen (1552), Jena
(1548-58), Genf (1558), Olmütz (1567), Helmstädt (1576), Grätz (1586), von
denen wenigstens die Hälfte protestantisch war. Doch ist nicht zu leugnen, daß
nicht eben alle Wissenschaften den erwarteten Segen von der Reformation cm-
pflngen, den man von ihr hatte erwarten sollen. Besonders wurde nach Luthers
Tode in der protestantischen Theologie eine unglückselig polemische Richtung
sichtbar, die eine neue Scholastik zu Tag zu fördern schien und an Buchstaben
und trostlose Subtilitäten statt an den lebendigen Geist der Schrift sich hielt.
Wie einfach und mild hatte noch 1530 die unveränderte Augsburger Confcssion
das Wesen des Protestantismus dargclegt; wie gebieterisch gelehrt und abschließend
trat die Concordienformcl auf! Wie ängstlich subtil war das „in, mit und unter"
in der Abendmahlsformel! Es durfte dem frömmsten Prediger bange werden, um
eines Wortes willen verketzert zu werden. Darum tröstete sich schon der edle
Mclanchthon längst mit dein Gedanken: „Dn wirst befreiet werden von der Streit-
wuth der Theologen, du wirst in das Licht kommen!" Doch mag cs billig sein,
einige jener deutschen Rcformationshclden auch hier zu nennen, ohne Ansehen ihrer