1839 -
Stuttgart
: Literatur-Comptoir
- Autor: Böttiger, Carl Wilhelm
- Hrsg.: ,
- Auflagennummer (WdK): 2
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
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Vierzehntes Haupts u ck.
Geschickte Deutschlands nach dem siebenjährigen Kriege bis zur französi-
schen Nevolution. Kaiser Joseph Ii., Maria Theresia, Friedrich 11.
(l.ttä — 1ííhí).
Schon am 27. März 1764 war zu Frankfurt die römische Königswahl, dießinal
von 9 Kurfürsten einstimmig, und 3. April die Krönung Josephs Ii., und am
18. Aug. 1765 der Tod des Kaisers Franz I. zu Innsbruck erfolgt. Obgleich The-
resia diesem fast gar keine Einwirkung auf die Geschäfte verftattet hatte, betrauerte
sic ihn doch ihr ganzes Leben hindurch, selbst äußerlich, und besuchte oft seine
Gruft, wo auch ihre Urstätte schon bestimmt war. Franz hatte sein Land Toscana
in eine Secundogcnitur seines Hauses verwandelt und seinen 2ten Sohn Peter
Leopold zum Großherzog daselbst gemacht. Ferdinand wurde Statthalter der Lom-
bardei und erheirathetc das Herzogthum Modena. Maximilian wurde Großmeister
des deutschen Ordens und letzter Kurfürst von Cöln. Von den vielen Töchtern
hat Maria Antoinette, die Gcinahliu Ludwigs, nachherigen Königs von Frankreich
(Xvi.) die unglücklichste Berühmtheit erlangt. — Maria Theresia hatte ihren Sohn
Joseph zum Mitregenten ernannt und ihm anfangs Vieles überlassen; als sie aber
sah, daß er den Krieg zu eifrig suchte und zu schuelleu Maßregeln mehr, als mit
dem Wohlc und dem Geiste der Völker verträglich wäre, geneigt sei, ließ sie ihm
nur außer den Reichs- und böhmischen Kursachen das Militairfach und das Com-
mando. War sie (geb. 17173 auch jetzt die jugendlich-kräftige Frau nicht mehr,
die bei ihrer Krönung in Ungarn den Krönungsberg hinansprengtc und die Kreuz-
Hiebe nach den 4 Weltgegendcn that, oder welche am 2. Jan. 1743 beim Frauen-
carousscl in Wien die erste reitende Quadrille der Amazonen führte und mit Lanze,
Wurfpfeil, Degen und Pistole gegen Türkcnköpfe ihre Fertigkeit zeigte, die alle Ucbungs-
lager besuchte und daher von einer Medaille als mater «astroi um gepriesen wurde *),
so fühlte sie sich doch noch kräftig genug, den Sorgen der Regierung vorzustehcn;
besonders waren die auswärtigen Angelegenheiten der Gegenstand ihrer rastlosen
Thätigkeit. Aber sie richtete auch ihre Aufmerksamkeit auf die inneren Zustände,
auf Erziehung, Wissenschaften und Künste und besonders auf den Ackerbau— arti
artium nutrid, sagt eine Denkmünze — beschränkte darum auch die Jagd und mil-
derte die Lehnsgcrechtigkeiten in Böhmen. Für den Krieg wurde die Conscription
mit Ausnahme der Niederlande, Tirols und Ungarns eingeführt. Ihr großer
Staatscanzler, Fürst Kaunitz, war ihre rechte Hand, Joseph dainals noch — kaum
die linke.
Joseph (geb. 13. März 1741 in der trostlosesten Zeit seiner Mlittcr, wo sie
kaum eine Stadt zu einem Wochenbette mehr zu haben fürchtete) kündigte schon in
seinem Aeußcren — hoher Stirne, Adlernase, durchdringendem Blicke, einen denken-
den, kräftigen Herrscher an. Sein Körper — mittlerer Größe, aber gut gewachsen
— wurde durch eine Menge Leibesübungen behend und gewandt. Aber er verrieth
’) v. Hormnyr, Wik», ,'cuie Geschichte und seine Oenkwürdigkeiren, I8e>3, V. li Heft 2. 16.