1827 -
Leipzig
: Brockhaus
- Autor: Meynier, Johann Heinrich
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): Sonstige Lehrmittel, alle Lernstufen
- Inhalt Raum/Thema: Europäische Geschichte
Vater, ein guter Künstler in demselben Fache, bewohnte
mit seiner Familie ein Haus in einem abgelegenen Theile
der Stadt, das die Kinder nur selten verlassen durften.
Er hatte, außer Rafael, noch einen altern Sohn und zwei
Töchter. Alle mußten, sobald sie eine Reißfeder halten
konnten, zeichnen und malen lernen. Der strenge Vater,
ein sonderbarer, finsterer, eigensinniger, schweigsamer
Mann, hielt sie an, den ganzen Tag zu arbeiten, und
suchte ihnen die Kunst mit dem Stock in der Hand ein-
zublauen. Der altere Sohn konnte sich an diese Methode
nicht gewöhnen und entfloh. Die übrigen Kinder beka-
men seine Portion Schlage zu den ihrigen und wurden
tüchtige Künstler. Im Jahr 1741 zog Mengs mit ihnen
nach Rom. Hier mußten die Töchter den ganzen Tag
unter der Aufsicht des Vaters Miniatur malen, der Sohn
aber unermüdet nach dem großen Rafael und den An-
tiken zeichnen. Er machte so bedeutende Fortschritte, daß,
nach seiner Zurückkunft, der damalige Kurfürst und König
von Polen, August Iii., den sechzehnjährigen Jüngling
als Hofmaler in seine Dienste nahm.
Auf einer zweiten Reise nach Rom brachte cs Ra-
fael so weit, daß er selbst in dieser Künstlerstadt unter
die größten Künstler gerechnet wurde. Einst, da er sich
vorgenommen hatte, eine heilige Familie zu malen, fehlte
es ihm an einem Modelle zu dem Kopfe der Mutter Jesu.
Da begegnete ihm auf der Straße ein schönes, sittsames,
aber armes Mädchen. Kaum erblickte sie der junge Künst-
ler, so rief er freudig aus: da kommt die Mutter Gottes!
Er sprach mit ihr und beredete sie, ihm unter der Auf-
sicht der Mama bei seinem Bilde zu sitzen. Je tiefer er
ihr aber unter der Arbeit in die sanften Augen sah, desto
mehr gefiel sie ihm. Bald war sein Herz dahin; er führte
die Mutter Gottes in die Kirche und hcirathete sie. Mit