1823 -
Elberfeld
: Büschler
- Autor: Kohlrausch, Friedrich
- Auflagennummer (WdK): 5
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
16__________Verbreitung der neuen Grundsätze.
vielen Tausenden mitthestte, was ohne sie lange Zeit hin-
durch nur wenigen bekannt, vielleicht in den Mauern der
Klöster verschlossen gebllcbcn wäre, — wie dieses Alles
die Wett für die neuen Bewegungen vorbereitet hatte, ist
aus den frühern Abschnitten erinnerlich. Auf der andern
Seite ist eben diese Schnelligkeit der Verbreitung der neu-
en Grundsätze ein unwiderleglicher Beweis für die Größe
des Verfalls in dem gesammten kirchlichen und sittlichen Zu-
stande der damahligen Zeit. Der Mensch ist mit festen und
tiefen Wurzeln an die Sitte seiner Vater, er ist noch mit
liefern an seiner Vater Glauben festgewachsen: daß er
von diesem sich tosreiße, so lange er in ihm wahrhaft lebt,
ist gegen die Gesetze der menschlichen Natur; nuralsdann ist
es möglich, wenn das, was in ihm das Lebendigste seyn sollte,
abgestorben und ein btos Aeußerliches geworden ist.
Außer diesem Allen wirkten in dem öffentlichen und bür-
gerlichen Zustande Deutschlands noch viele Umstande zu der
raschen Entwicklung mit. Wir nennen das Größte zuerst.
Bis auf diese Zeit war das V o l k, die große Gesammtheit
der gemeinen, freien Leute, versäumt und vernachlässigt,
zu ihrer Bildung war wenig geschehen, und große Kräfte
schlummerten ungeweckt. Da trat Luther als eigentlicher
Volkslehrer auf; an das Volk wendete er sich, ihm
versprach er Belehrung , ja erwachte es zum Richter in sei-
nem Streite. Und dieses that er in einer so kräftigen, ein-
dringlichen Sprache wie in des Volkes Ohren vielleicht nie
getönt batte.
Ruch veräußere Zustand des Volkes in Deutschland
beförderte Luthers Unternehmen. Der Bauernstand
war zwar nach und nach zu etwas mehr Freiheit gekommen,
als in früherer Zeit; allein die Dienste, welche er zu leisten
hatte, waren immer noch sehr drückend. Er war der Last-
träger aller übrigen Stände, und von seinen Herren, den
Rittern, Grafen und Fürsten, in seinen Menschenrechten
noch nicht allgemein anerkannt; ja manche derselben drück-
ten ehre Unterthanen milder ungerechtesten Härte. Da er-
schallt das Wort: „Christliche Freiheit!" auch bis
in dia Hütten der Landleute; dieses Zauberwort, welches
sie nicht auf den Geist, sondern auf den äußern Zustand
deuten, belebt sie durch neue und große Hoffnungen, und
erzeugt, wie wir bald sehen werden, zuerst die traurigsten
Unordnungen. Denn bei so allgemeiner Aufregung eines
Zeitalters ist, wie die Geschichte aller Völker zeigt, das
rechte Maß sehr schwer zu bewahren.
/ Wie das Volk, so ward auch schnell der deutsche
Adel von den neuen Bewegungen ergriffen. 2» ihm le-b-