1823 -
Elberfeld
: Büschler
- Autor: Kohlrausch, Friedrich
- Auflagennummer (WdK): 5
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 3 – Sekundarstufe 2, Klassen 9/10/11 – 12/13
- Inhalt Raum/Thema: Deutsche Geschichte
Neue Gährungen in Europa. 199
durchschauend, wendete er sich plötzlich dem kühn und kräftig
aufstrebenden England zu und bot ihm sein Bündniß an.
Und das englische Volk, welches selbst immer Freude an
allem gehabt hat, worin sich Jugend und Kraft verkündigte,
nahm sein Anerbieten gern an; vielleicht ist nie in England
ein Bündniß mit mehr Begeisterung ausgenommen worden,
als dieses. Beide Völker, die sich in ihren wesentlichen
Strebungen nicht gefährlich werden können, bedürfen der
gegenseitigen Hülfe gegen andere Widersacher, und zugleich
des Zutrauens unter einander, damit England wegen Han-
nover außer L>orge seyn kann. Daher ist das Bündniß zwi-
schen England und Preußen, welches seine Sicherheit in
dem Gefühle beider Völker hat, ein natürliches zu nennen,
und ruht auf festern Grundlagen, als denen der Staatö-
klugheit.
Durch diese Eine Wendung waren die bisherigen Ver-
hältnisse Europa's umgekehrt. Preußen hatte sich von
Frankreich, England von Oestreich losgesagt, und wie
durch ein wunderbares , launiges Spiel des Schicksals fan-
den sich nun Frankreich und Oestreich, die dreihundert-
jährigen Feinde, zu ihrem eigenen Erstaunen einander
nahe gestellt und und aufgefordert, sich die Hände zu rei-
chen. Es war wie eine Verspottung der bisherigen, für
unumstößlich gehaltenen , Regeln der politischen Berechnung.
Zum Glück für Oestreich fand sich in seinem ersten Staats-
manne, dem Fürsten Kaunitz, und in de§ Kaiserin Ma-
ria Theresia selbst, die Geisteshelligkeit, welche die verän-
derte Lage der Dinge schnell erkannte und sich durch das
Herkömmliche nicht zurückhalten ließ. Sie bewarben sich um
das Bündniß mit Frankreich und brachten cs zu Stande;
am 1. Mai I75vwürbe der Versailler Traktat errichtet, nach-
dem schon im Januar dieses Jahres das Bündniß zwischen
England und Preußen zu Westminster abgeschlossen war.
Der Churfürst von Sachsen und König von Polen,
Augustin., wnrdevon seinem Minister, dem Grafen Br ü h l,
in allem geleitet; er selbst liebte ein gemächliches , dem Sin-
uengenuß hingegebenes Leben; sein Minister aber, der sich
ohne wahres Verdienst von der Stelle eines Edelknaben zum
Staatsministcr emporgeschwungen hatte, war voller heim-
licher Anschläge. Er haßte den König Friedrich, weil dieser
ihn gering achtete, und verband sich mit dem Fürsten Kaunitz,
um Preußen zu verderben. Beide fanden an dem rustischen
Kanzler Bestufchef den dritten zu ihrem Bündniß. Auch
dessen Kaiserin Elisabeth war dem König Friedrich feind,
well sein Spott, ihrer nicht schonte,, und übelwollende