1848 -
Leipzig
: Brandstetter
- Autor: Neudecker, Chr. Gotth., Schröer, Tobias Gottfried
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Töchterschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Privatunterricht, Töchterschule
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Mädchen
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ten, zur Aufgabe ihres Lebens gemacht zu haben; das kam daher, weil sic
früher Schätze, als weise Gesetze erhalten hatten. Dem Lykurg entging in-
deß die feine und gefällige Art nicht, mit der dieses Volk umzugehen, zu
sprechen und zu handeln gewohnt war; er sah auch, daß bei allen Aus-
schweifungen doch die groben Laster roher Barbaren vermieden wurden.
Die größte Freude machten ihm die Gedichte Homer's, die er hier zum
ersten Male von den Rhapsoden auf den Märkten absingen hörte. Er sam-
melte sie in Abschriften und nahm sie mit nach Hause, um sie seinen Mit-
bürgern bekannt zu machen. Er hoffte, sie durch die Sagen so großer
Heldenthaten zur Tapferkeit anzufeuern, durch die vielen herrlichen Sitten-
sprüche in den Gedichten von gemeinen Gesinnungen zu edlen Gefühlen, von
verwerflichen Handlungen zur Tugend und Sittlichkeit zu führen. Lykurg
soll, was aber nicht wahrscheinlich ist, auch noch in andere Länder und selbst
bis nach Aegypten gewandert sein: wir lassen ihn aber, wie die glaubwür-
digsten Schriftsteller erzählen, aus Jonien wieder in sein Vaterland zurück-
kehren. Hier wurde er mit allgemeinem Jubel empfangen; selbst seine
Feinde hatten den Groll gegen ihn vergessen. Allein Lykurg hatte auf
Reisen die Unbeständigkeit des menschlichen Herzens kennen gelernt; er schenkte
dieser Aufwallung allgemeiner Volksgunst nur geringes Vertrauen und sagte
noch nichts von dem, was er vorhatte, — die Lacedämonier durch weise
Gesetze zu beglücken. Nur mit wenigen vertrauten Freunden besprach er
diese Sache, und wenn ihn Andere ausforschen wollten, erzählte er blos,
welch' herrliche Gesetze er auf seinen Reisen kennen gelernt habe. Als er
dann mit seinem Plane offener hervorzutreten begann, waren sowohl die
Reichen, welche von dem Trotze und Uebermuthe des Pöbels viel zu leiden
hatten, als auch die Armen, die von einer veränderten Staatsverfassung
ein besseres Loos erwarteten, ganz begierig auf die neuen Gesetze. Lykurg
aber wollte sich doch sicher stellen und fand es für zweckmäßig, seiner Ge-
setzgebung durch den Ausspruch, eines Orakels göttliche Autorität zu ver-
leihen. Er reiste daher nach Delphi und hier gab ihm das Orakel, auf
seine Anfrage, die Antwort:
„Meinen reichen Tempel, Lykurgus, hast du besuchet,
Du, den Jupiter liebt und alle Bewohner des Himmels.
Soll ich als Gott dich, oder dich als Sterblichen grüßen?
Doch ist glaublicher mir, Lykurgus, daß du ein Gott bist.
Dieser Ausspruch des Orakels wirkte mächtig auf die Lacedämonier.
Der König und das Volk forderten ihn nun auf, neue Gesetze zu entwer-
fen und den Staat nach seiner Weisheit einzurichten! Er begab sich also
mit dem Könige und achtundzwanzig Männern von reifen Jahren auf den
Markt, wo das Volk versammelt war, und machte bekannt, er wolle alle
Macht des Staates zwischen König und Volk theilen, aber auch zugleich ei-
nen Rath der Alten von achtundzwanzig Männern stiften, die in schwer
zu entscheidenden Fällen, in welchen sich der Vortheil des Königs und des