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1. Mittlere Geschichte - S. 309

1848 - Leipzig : Brandstetter
309 wie die ihrer Zöglinge. Die Geistlichen bekümmerten sich wenig darum, Volkslehrer zu bilden; diese mußten sich auf folgende Weise zu ihrem wich' tigen Amte vorbereiten. Jeder Schulmeister hielt sich seine Gesellen, die gleich Handwerksburschen unter dem Namen der fahrenden Schüler, Bac- chanten und Abcschützen *), bald einzeln, bald mit dem Meister in ganzen Haufen im Lande herumzogen und ihr Brod an den Thüren singend oder bettelnd suchten, oder wohl auch stahlen, „denn es war Brauch," wie es in der Lebensbeschreibung des Thomas Platter heißt, „daß die Schüler dürfen Gans und Enten, auch andre essige Speis rauben." Nebenbei wurden diese Gesellen im Lesen, Schreiben und Singen unterrichtet. Mar- der Unterricht an sich höchst kläglich im Verhältnisse zu dem Unterrichte der Jetztzeit, so förderte er doch immer die allgemeine Bildung des Bürger- standes. Daß er mit Ruthensireichen und Stockschlägen eingebläut wurde, erregte keinen Anstoß. Vortheilhafter wirkte noch eine andere Anstalt auf den Bürgerstand — die Zunft der Meistersänger. Noch irrte hie und da ein Minnesänger im Lande herum und ließ sich zuweilen in Städten hören. Vielleicht ist auch manches geschriebene Minnelied in die Hände lese- und wißbegieriger Städter gekommen (freilich erklangen die meisten, ohne ausgeschrieben zu werden, und die niedergeschriebenen vermoderten in Klosterbibliotheken oder sonst in einem abgelegenen Gemache zerfallener Schlösser), und es erwachte auch bei ihnen die Liebe zu Gesang und Poesie. Da versammelten sich dann die Liebhaber dieser Kunst an Sonn- und Feiertagen in den Kirchen, nach dem Nachmittagsgottesdienste oder auch in Wirthshäusern und sangen zur Zither nach alten und neuen Melodien allerlei Reimgedichte, zu denen der Stoff meist aus der biblischen Geschichte entnommen war; oft enthielten sie auch satyrische Ausfälle über Sitten und Laster des Zeitalters. Wer ein solches Lied nach dem Urtheile der sogenannten Merker gut und fehlerfrei sang, wurde ein Meister oder Meistersänger genannt und bekam einen Preis, der in silbernen und gol- denen Denkmünzen, oder Ketten und Kränzen von seidenen Blumen bestand. Unter den Händen solcher Sänger sank zwar die Poesie zum Hand- werke herab, denn die meisten Gedichte waren nur platte, schale und ge- haltlose Reimereien, doch diente die Beschäftigung mit solchen Gegenständen dazu, die deutsche Sprache selbst für die Prosa allmälig einzurichten, die Handwerksleute vom Spiele und rohen Zechgelagen zu einer harmlosen und veredelnden Unterhaltung zu führen, dem Gefühle für Anstand und gute Sitte Eingang zu verschaffen und wohl auch den Verstand für ge- meinnützige Gedanken zu öffnen. Auf jeden Fall ist das Leben in den Etädten, wenn es auch keine eigentlichen Dichter gab, mit den Possen- und *) Das Wort Abcschützen kommt von dem Worte schießen (werfen) her, weil die schüler, die oft nicht mehr als das Abc verstanden, durch Werfen Gänse und anderes Geflügel sich zueigneten.
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