1848 -
Leipzig
: Brandstetter
- Autor: Neudecker, Chr. Gotth., Schröer, Tobias Gottfried
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Töchterschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Privatunterricht, Töchterschule
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Mädchen
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behielt, hatte Frankreich nun drei mächtige Parteien — Anhänger der be-
stehenden Regierung, Anhänger der vertriebenen Bourbons und endlich die
alten Republikaner. Diese Parteien bekämpften sich unaufhörlich durch
Schriften und Reden und hielten auch dadurch Frankreich in einer großen
Spannung, die den Ausbruch einer furchtbaren Erschütterung voraussehen
ließ. Hatten aber die hier angedeuteten Umstände schon Veranlassung zu
vielen Bewegungen unter der Regierung Ludwig Philipp's gegeben, so darf
man dabei auch die vernachlässigte häusliche Erziehung der Jugend nicht
unberücksichtigt lassen, sofern jene die Jugend zu frühzeitig von dem Ge-
horsame und der Abhängigkeit entbindet. Wie widrig ist es doch, an der
Spitze von Aufständen Knaben und Zöglinge der öffentlichen Schulen zu
sehen! Dagegen ist es auch außer Frage, ja es muß rühmend anerkannt
werden, daß der Sinn für die Erhaltung der Freiheit Frankreich groß macht,
daß die französische Nation das Ungemach eines immerwährenden Kampfes
einem Zustande vorzieht, in welchem es durch willkürliche Oberherrschaft in
der Entwickelung eines naturgemäßen und kräftigen Lebens gehemmt wird.
Hierin liegt auch der Grund, daß Frankreichs Volk mit Muth und Kraft
den Schild erhebt, wenn es gilt, die höchsten Güter der Menschheit zu
wahren — die Freiheit des religiösen Glaubens, Gleichheit vor dem Ge-
setze, Würdigung des Verdienstes ohne Berücksichtigung des Standes und
endlich das freie Wort im Leben und in der Schrift.
Ueber die Sorge für das allgemeine Wohl, bei dem Antheile des fran-
zösischen Volkes an den öffentlichen Angelegenheiten, wurde freilich schon
seit der großen Revolution das Familienleben so gewaltsam vernachlässigt,
daß eine Zeit folgen mußte, in der sich der Vater wieder zu seiner Familie,
der Sohn wieder zu seinen Eltern fand. Sie stellte sich nach dem Jahre
1830 merklich ein, so daß schon nach einigen Jahren der glaubwürdige
französische Schriftsteller Souvestre sagen konnte: „Die Revolution hat
das große Resultat gehabt, alle Familienbande, indem sie diese zu sprengen
suchte, enger zusammenzuschließen. Wir haben zehn Jahre mitten unter
unseren Schwestern, unseren Frauen, unseren Kindern wie Schiffbrüchige
gelebt, welche die letzte Woge erwarten, die sie fortzureißen droht; die
Dauer der Gefahr hat es uns zur Gewohnheit gemacht, Herz an Herz zu
schließen. Und fürwahr, wie hätten jene großen Krisen nicht all' unsere
Anhänglichkeit erwecken sollen? Der Ueberdruß und das Grausen des öffent-
lichen Lebens riefen eine Reaction im Privatleben hervor. Nach den nutz-
losen Revolutionen, den lügnerischen Programmen, den leeren Aufregungen,
war es unmöglich sich länger vom Heerde der Familie fern zu halten. An
was sollte man sich anschließen, nachdem einmal der Glaube tobt war, wenn
nicht an die Gefühle; und wenn alle Parteien euch betrogen hatten, mußte
man nicht da endlich seine Frau und seine Kinder in's Herz schließen und
ausrufen: Alles ist in diesen!"
Welchen Fortschritt die Humanität in Frankreich gemacht hat, zeigt
sowohl die Julirevolution, als auch eine nochmalige Staatsumwälzung, die
beinahe 18 Jahre später eintrat; in beiden Revolutionen zeigte das Volk