1848 -
Leipzig
: Brandstetter
- Autor: Neudecker, Chr. Gotth., Schröer, Tobias Gottfried
- Auflagennummer (WdK): 3
- Sammlung: Geschichtsschulbuecher vor 1871
- Schultypen (WdK): Töchterschule
- Schultypen Allgemein (WdK): Mädchenschule
- Bildungsstufen (OPAC): ISCED 2 – Sekundarstufe 1, Klassen 5/6/7 – 8/9/10
- Schulformen (OPAC): Privatunterricht, Töchterschule
- Inhalt Raum/Thema: Weltgeschichte
- Inhalt: Zeit: Alle Zeiten
- Geschlecht (WdK): Mädchen
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Familie erhalten zu können und entsagte während der Februartage dem
Throne zu Gunsten seines Enkels Ludwig Philipp Ii. unter der Regent-
schaft der Mutter desselben, der Herzogin Helene von Orleans. Das Volk
verwarf aber den neuen König, verbannte die Bourbons abermals aus Frank-
reich, erklärte das Königthum für abgeschafft und proclamirte die Republik.
Ludwig Philipp flüchtete mit seiner Familie und mit seinen Ministern,
fast ganz entblößt von allen Mitteln; sie suchten und fanden, — mit
Ausnahme der Herzogin von Orleans und ihres Sohnes, — ein Asyl in
England.
Wie ein Blitzstrahl aus heiterem Himmel durchzuckte die neue fran-
zösische Revolution auch ganz Deutschland. Dieses erhob sich jetzt im Voll-
gefühle seiner Mündigkeit und verlangte, ohne rohe Gewalt und wilden
Aufruhr, eine seiner Würde und Intelligenz entsprechende staatliche Einrich-
tung, die Erfüllung von gegebenen Verheißungen, die Achtung seiner Ehre
und seiner Rechte, Gesetze, welche zur freien und kräftigen Entwickelung
des deutschen Volkes dienen können. Einheit und Einigkeit, Treue gegen
den angestammten Fürstenthron, Achtung der Würde des deutschen Volkes
sind die großen Losungsworte, die überall ertönen. Um diese Cardinalpunkte
dreht sich aber das taute Verlangen nach der Herstellung einer konstitutio-
nellen Verfassung da, wo diese noch nicht besteht, nach der vollen und
wahren Ausübung der Constitution, wo diese bereits eingeführt ist, nach
einer allgemeinen Volksvertretung bei dem deutschen Bunde, nach einem
allgemeinen deutschen Parlamente, nach allgemeiner Volksbewaffnung, Preß-
freiheit, voller Religions- und Gewissensfreiheit, nach einem öffentlichen Ge-
richtsverfahren mit Schwurgerichten, Vereidigung des Militärs auf die
Verfassung und nach anderen allgemeinen, das Volks- und Staatswohl
fördernden organischen Einrichtungen. Die meisten deutschen Fürsten fügten
sich frühzeitig in den Willen des Volkes, um großes Uebel zu verhüten.
So beschwichtigte auch der Kaiser von Oestreich, Ferdinand I., am
11. März 1848 einen Volksaufstand in Wien gegen das Regierungssystem
des Staatskanzlers Fürsten von Metternich dadurch, daß er diesen seiner
Würde entsetzte und dann sowohl Oestreich als auch den übrigen Erbstaaten
eine unumschränkte Constitution zusagte. Der sonst so mächtige Metternich,
der mit consequent durchgeführtem Drucke und Bevormundung aller deut-
schen und Machbar-Länder drei Decennien hindurch einen unüberwindlichen
Einfluß hatte, mußte unter Militärbegleitung aus Wien flüchten, um vor der
Wuth des Volkes sich zu retten! —Kurz nach diesen wichtigen Ereignissen
brach auch in Berlin (am 18. u. 19. März) auf verhängnißvolle Weise ein
furchtbarer und blutiger Kampf gegen den Absolutismus des Königthumes los.
Wenn auch die Militärmacht nicht der heldenmüthigen Tapferkeit des Volkes
wich, so hatte doch die Volkspartei moralisch gesiegt. Selbst der König
Friedrich Wilhelm Iv. stellte sich plötzlich an deren Spitze und erklärte,
mit einem solchen Volke ein freies und einiges Deutschland zu begründen